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geschrieben von Anonym am
Montag, 01. Oktober 2001
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Leseprobe
Copyright Heike Clausen
1
Inmitten einer wunderbaren Hügellandschaft
weit weg von der Stadt, in
der du lebst, liegt, umgeben von Wiesen,
Feldern und kleinen Waldgruppen
ein kleines Dorf.
Die Menschen dort leben seit Generationen
in Harmonie und Liebe miteinander,
und einer ist für den anderen da.
Es gibt dort keine Unterschiede wie zum
Beispiel 'Arm und Reich'.
In diesem kleinen Dorf sind alle Menschen
gleich. Und wenn es wirklich einmal
vorkommt, dass irgend jemand ein
Problem hat - egal welcher Art -, dann
wird es sofort 'gemeinsam' gelöst.
Die Kinder gehen in einen Kindergarten
oder in eine Gemeinschaftsschule. Und
wenn es das Wetter zuläßt, wird das
Lernen und das Spielen nach draußen unter
freiem Himmel in die freie Natur verlegt.
Denn durch den direkten Kontakt mit der
Natur lernen die Kinder das, was wirklich
wichtig ist im Leben, und erkennen dabei,
was 'Recht' und 'Unrecht' ist.
Seit vielen Jahren ist den Menschen in
diesem Dorf klar, dass die Natur so, wie
sie von Gott erschaffen wurde, der beste
Lehrmeister ist, den man sich für
das Leben nur vorstellen kann.
Die Lehrer der Gemeinschaftsschule und
die Kindergärtnerinnen haben nur ein Ziel:
Gute Wegbegleiter für die heranwachsenden
Jugendlichen und Kinder zu sein.
Wegbegleiter, die ihnen die Chance geben,
selbst zu entscheiden bzw. selbst
zu 'erkennen', was richtig und falsch ist,
damit aus ihnen später einmal Erwachsene
werden, bei denen die Liebe zum
Nächsten ihr Tun bestimmt.
Damit auch die Kinder es an ihre Kinder
weitergeben können.
Also 'sinnvoll' leben und egal. was auch
geschieht, sich eines bewahren: 'Im
Herzen Kind zu bleiben.'
Jeder, der dort lebt, ist mit seinem
Lebensablauf glücklich und zufrieden.
Wenn es einmal vorkommt, was äusserst
selten geschieht, dass die Gemeinde Zuwachs
erhält, das heißt neue Mitbürger,
so werden diese sofort herzlich in die
Gemeinde aufgenommen.
Es ist nicht wichtig, wer sie sind, was
sie sind oder woher sie kommen. Ohne
Vorurteile werden sie angenommen, und
jeder hilft ihnen, damit sie sich in der
Gemeinde wohlfühlen.
Doch was wäre solch ein kleines Dorf
ohne eine 'uralte' Sage, die von Ge-neration
zu Generation überliefert wird?
Es gibt dort keinen, nicht mal ein Kind,
der nicht die Sage von der 'alten Weisen',
jener großen schneeweißen Eule,
die drüben beim alten Sennehaus in der
alten mächtigen Buche lebt, kennt.
Von ihr erzählt die Sage, dass die Eule
schon da war, bevor das Dorf entstanden
ist, und alles gesehen hat, was im
Laufe der Zeit geschah.
Die alten Leute im Dorf erzählen von
ihr, dass sie die 'Hüterin der Welt' sei
und in die Herzen der Menschen schauen
könne.
Einmal im Jahr, nämlich zur Jahreswende,
verwandelt sich diese Eule in ein
menschliches Wesen.
Sie tut dies, um die Dorfbewohner zu
überprüfen, ob ihre Liebe und ihr Glaube
an das Gute noch stark genug sind,
um dem 'Bösen' zu trotzen.
Wenn sie erkennt, dass ein Mensch im
Herzen überschäumt vor Liebe, erfüllt
sie ihm einen Wunsch.
Auch das alte Sennehaus, das am Waldrand
steht, hat sein Geheimnis, von dem
die Dorfbewohner jedoch nichts wissen.
Denn seit jenem tragischen Ereignis vor
zwei Jahren ist niemand mehr dort gewesen.
Deshalb weiß auch keiner, dass
das Sennehaus gar nicht so unbewohnt
ist, wie jeder glaubt.
In diesem Sennehaus lebt der Geist als
Wesenheit des kleinen Benjamin, der vor
zwei Jahren in diesem Haus auf tragische
Weise umgekommen ist.
Als Benjamin starb, war er gerade sechs
Jahre alt. Benjamins Eltern zogen kurz
nach seinem Tod fort, weil sie einfach
nicht vergessen konnten, durch welche
Umstände dies alles geschah.
Benjamin und seine Eltern waren erst
aus der Stadt in das Dorf gezogen, als
Benjamin vier Jahre alt war.
Er stammte also nicht direkt aus die-sem
kleinen Dorf.
Da die Eltern nicht wußten, dass der Geist
von Benjamin noch nicht im Himmel war,
da er sich von diesem wunderschönen
Stück Erde nicht trennen konnte, verließen
sie schon kurz nach seinem Tode das
Haus und zogen in die Stadt zurück.
Sie ahnten beziehungsweise sie wußten
nicht, dass mit dem Tod nicht alles zu
Ende geht, sondern der Geist des Verstorbenen,
wenn er will, bleiben oder
immer zurückkehren kann.
Benjamin hatte einfach nicht vergessen
können, was er in der kurzen Zeit in
dieser Dorfgemeinde erlebt hatte.
Zu schön waren seine Erinnerungen an
die Zeit, wo er noch voller Spaß, Abenteuerlust
und Übermut durch Haus,
Garten, Wald und Felder tobte.
Die vielen Streiche, die er seinen Eltern
spielte, und das Glücksgefühl, das ihn
überkam, wenn er im hohen Gras lag und
zum Himmel schaute, während die Sonne
warm über sein Gesicht streichelte.
Was hat er in seinen Tagträumen, wenn er
im Gras lag, für tolle Abenteuer erlebt!
Doch so schlitzohrig, lausbubenhaft und
voller Streiche, die er gerne ausheckte,
Benjamin auch war, so hilfs-bereit, voller
Liebe und Wärme war er auch, wenn
es darum ging, anderen, speziell Tieren
in einer Not, zu helfen.
Und gerade dies war es, was Benjamin
zum Verhängnis geworden war.
Als er nämlich versuchte, einen jungen
Fuchs, der, hilflos treibend, im Wildbach
schwamm, zu retten, rutschte Benjamin
am schlickigen Ufer aus und fiel
selbst kopfüber ins Wasser.
Zwar schaffte es Benjamin, den Fuchs
zu packen und sich mit ihm wieder ans
Ufer zu retten. Doch durch die Kälte des
Wassers und des abklingenden Winters
sowie wegen des langen Fußweges anschließend
nach Hause erkrankte Benjamin
an einer schweren Lungenentzündung,
von der er sich nicht mehr erholte.
Benjamin starb nach einer Woche.
In der ersten Zeit, nachdem Benjamins
Seele seinen Körper verlassen hatte,
wollte Benjamin es nicht wahrhaben, dass
er gestorben war.
Er versuchte laufend, seinen Eltern begreiflich
zu machen, dass, auch wenn er
tot ist, er trotzdem bei ihnen sei.
Als er nach einer gewissen Zeit die Sinnlosigkeit
seiner Versuche, sich bemerk-bar
zu machen, erkannte, weil seine Eltern
auf keines seiner 'Zeichen' reagierten,
wurde ihm bewußt, dass er ein 'Geist'
war und in einer Welt existierte, die von
den 'Lebenden', wenn sie nicht sensibel
genug sind, niemals wahrgenommen
wird.
Nachdem Benjamin dies bewußt geworden
war, lief er aus dem Haus, in den
Garten - zur alten Buche -, schmiß sich
ins Gras und weinte bitterlich.
Er kam sich so unendlich allein und
verlassen vor.
Doch urplötzlich in sein Weinen hinein
vernahm Benjamin auf einmal eine wohltuende,
warme und liebevolle Stimme,
die ihn seinen Schmerz urplötzlich ver-gessen
ließ.
"Benjamin, Benjamin - weine nicht!
Es wird alles gut, denn es kommt alles
so, wie es im 'Großen Buch des Lebens'
geschrieben steht.
Noch ist es schwer für dich zu begrei-fen,
dass das Leben nach dem Tode
weitergeht.
Du bist nicht allein, denn viele Wesenheiten
in dem Reich, in dem du jetzt
lebst, werden zu dir kommen, wenn du
bereit bist, dieses Leben als Geist zu
akzeptieren.
Du mußt nur jetzt lernen, 'neu' zu leben.
Zu leben in einer Welt, die den Lebenden
so lange verborgen bleibt, bis sie
erkennen, dass es keinen 'Tod' gibt."
Die Sonne schien blendend hell, und
Benjamin konnte nicht so genau sehen,
nachdem er die ganze Zeit geweint hatte.
Doch als er in die Richtung blickte, aus
der die Stimme kam, die so sanft war
und so klar - wie Musik klang sie ihm in
den Ohren -, erblickte er die große weiße
Eule, die ihn mit weisen liebevollen Augen
anschaute.
"Du?" rief Benjamin erstaunt. "Es ist also
wahr, was sich die Menschen aus dem
Dorf über dich erzählen?"
Lächelnd erwiderte die Eule auf Benjamins
erstaunte Frage: "Ja, Benjamin. Sie sind
näher an der Wahrheit, als sie es sich
vorstellen können.
Doch bis zum absoluten Erkennen ist es
noch ein langer Weg für sie."
"Sage mir, Weise, - so heißt du doch, oder?"
fragte Benjamin vorsichtig und hielt ein. Als
die Eule lächelte und mit ihrem Kopf nickte,
fuhr Benjamin mit seiner Frage fort, "Sage
mir doch bitte, warum du so heißt."
Wiederum lächelte die Eule, als sie auf
seine Frage antwortete:
"Weißt du, Benjamin, die Menschen gaben
mir diesen Namen, weil sie Gott einen
Namen gaben, so, wie sie allem, was für
sie geheimnisvoll und unerklärlich ist, ei-nen
Namen geben, damit es für sie erklär-bar
wird.
Erst wenn sie reif sind und die Wahrheit
erkennen, erkennen sie das Unerklärliche
und sich selbst sowie ihren Weg und ihr
Ziel, und begreifen, dass das Leben in
vielfältigen Formen existiert."
"Gut", meinte Benjamin, obwohl er ihre
Worte nicht verstand - noch nicht, "dann
erkläre mir doch, bitte, warum mußte ich
sterben?
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