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geschrieben von emha am
Samstag, 16. April 2022
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Interview mit Alexander Braun, Kurator der Ausstellung im schauraum comic + cartoon Dortmund
Der beim avant-verlag erschienene Ausstellungskatalog ist das neue Buch des zweifach mit dem Eisner-Award ausgezeichneten Comic-Experten Alexander Braun
Horror-Comics gibt es seit den frühen 1950er-Jahren. Sofort wurden sie von konservativen Kräften der amerikanischen Gesellschaft der McCarthy-Ära angefeindet, was 1954 zur Verabschiedung eines Selbstzensur-Codes der Industrie führte. Zensur ist eigentlich ein No-Go für westliche Demokratien, aber Horrorcomics – insbesondere die des EC-Verlags – waren zu subversiv, zu gesellschaftskritisch und zu autonom im Sinne einer unerwünschten Jugendkultur. Ab den späten 1960er-Jahren setzte schließlich eine Liberalisierung ein und Horror wurde zu einer festen Größe der Pop- und Comic-Kultur. Vampire, Werwölfe, Frankensteins Monster: sie alle wurden jetzt auch als Comic adaptiert. Dazu Geister und Dämonen, Okkultismus und Zombies, sowie Manga-Gore aus Japan.
Diese Publikation präsentiert 70 Jahre Horror-Comics, vorgestellt durch seltene Dokumente und Meisterwerke von Graham Ingels, Jack Davis, Bernie Wrightson, Richard Corben, Mike Mignola, Hideshi Hino, Shintaro Kago u.v.m. – darüber hinaus liefert Alexander Braun ganz nebenbei auch einen spannenden Ritt durch Gesellschafts- und Kulturgeschichte.
Die CRS stellte dem Kurator der Ausstellung, Alexander Braun, Fragen zu seinem neuen Werk und zur Ausstellung.
CRS: Wie entstand die Idee zu deinem Ausstellungskatalog über Horrorcomics? Bisher warst du in ganz anderen Genres unterwegs…
Alexander Braun: Ich fühle mich genretechnisch wenig beschränkt. Ich habe ja mit ANIMEfantastisch (Riva Verlag) – und der gleichnamigen Ausstellung dazu – sogar schon über den japanischen Zeichentrickfilm geschrieben. Horror habe ich für mich jetzt nicht als besonders exotisch empfunden, zumal ich immer gerne Horror-Filme gesehen habe. Allerdings in überschaubarem Maße, also eher die Highlights von Tobe Hoopers »Texas Chainsaw Massacre« bis Pascal Laugiers »Martyrs«. Als Kind war ich ein Riesenfan von Polanskis »Tanz der Vampire« oder »Rosemary’s Baby«. Nicolas Roegs »Wenn die Gondeln Trauer tragen« nicht zu vergessen. Der hat mich mit 12 oder 13 völlig umgehauen. »Midsummer« fand ich zuletzt ganz interessant, weil der Film so sonnendurchflutet und so eindeutig uneindeutig unheimlich war.
CRS: Dein Buch ist ja der Katalog zur gleichnamigen Ausstellung. Wo und wie lange ist diese zu sehen?
Alexander Braun: Wie immer exklusiv zu sehen im schauraum: comic + cartoon in Dortmund. Wir haben die Schau am 18. Februar eröffnet. Das Interesse in den ersten Wochen ist großartig. Das hat uns positiv überrascht. Ich hatte befürchtet, das Thema könnte bei so viel Pandemie und Krieg in der Ukraine vielleicht abschreckend wirken. Tut es aber nicht. Die Ausstellung ist in Dortmund noch bis zum 14. August zu sehen.
CRS: Sammelst du auch Comicseiten von Horrorgeschichten?
Alexander Braun: Ich fände es komisch, wenn man bestimmte Genre NICHT sammeln würde. Ich sammle nach den Kriterien, wie es ein Museum tun würde, also eher nach künstlerischer Qualität, egal in welchem Genre sie auftritt.
CRS: Deine Publikation präsentiert 70 Jahre Horror-Comics, vorgestellt durch seltene Dokumente und Meisterwerke von Graham Ingels, Jack Davis, Bernie Wrightson, Richard Corben, Mike Mignola, Hideshi Hino, Shintaro Kago u.a. Das ist schon ein beachtlicher Zeitraum. Wie hast du die Auswahl getroffen, welche Meister ins Buch kommen?
Alexander Braun: Auch hierfür gilt das Kriterium: Qualität und Eigenständigkeit. Gerade bei Themen, bei denen man die Räume zehn Mal voll machen könnte und immer noch nicht jeden Aspekt oder jede Figur abgedeckt hätte, muss man den Fokus auf die Highlights und das Besondere oder auch Skurrile lenken. Da gibt es dann natürlich die Einwände, dass X oder Y fehlen würden. Das ist bei solchen Universalthemen so. Aber der gezeigte Mix muss stimmen und die Besucher (auch die, die keine Profis sind) gut unterhalten.
CRS: Gibt es auch einen Blick auf deutsche Horrorcomics?
Alexander Braun: Nicht explizit. Dafür fehlte dann tatsächlich der Platz. Außerdem: Wenn ich in Richtung Bastei und Gespenster Geschichten schaue, dann ist die Qualität im internationalen Vergleich auch nicht so dolle. Allerdings haben wir vier sehr schöne Originalseiten aus Ralf Königs Frankenstein-Adaption in der Ausstellung und eine überraschende Fix-und-Foxi-Seite aus den 1960er-Jahren. Die würde man tatsächlich nicht in einer Horror-Ausstellung vermuten.
CRS: In deinem Buch geht es auch um Gesellschafts- und Kulturgeschichte... ist es für dich wichtig, den zeitlichen Kontext zwischen Gesellschafts- und Kulturgeschichte und Comic herzustellen und wenn ja: warum ist dies wichtig?
Alexander Braun: Ich finde das sehr wichtig. Ich habe das nie verstanden, wie Comic-Geschichte häufig so völlig aseptisch und autistisch erzählt wird, als hätte sie in einer Röhre stattgefunden. Gerade die populären Kunstformen sind doch noch viel stärker – als etwa singuläre Avantgarde-Leistungen – in ihrer Zeit eingebunden. Die Zensur, die den EC-Verlag 1954 getroffen hat, ist doch ganz unmittelbar Ausdruck eines gesellschaftlichen Klimas gewesen, so wie grausigster Manga-Horror ein Reflex auf das nationale Trauma nach den Atombomben-Abwürfen darstellt. Und wenn wir über Horror sprechen, dann steht doch auch immer die Frage im Raum, warum man das überhaupt tun sollte. Warum sind wir interessiert an der bildlichen Darstellung des Bösen? Grausamkeiten als Unterhaltung. Und dann schaut man zurück in die Renaissance oder zu Rubens oder Goya und stellt fest, die waren das auch schon: interessiert am Grausamen. Das ist nicht erst ein Phänomen der vermeintlichen Low-Kultur. Und wenn man diesen Bogen schlägt, etwas über den Tellerrand hinausschaut, ergeben sich viele sehr erhellende Aspekte.
CRS: Welches ist das ungewöhnlichste Exponat in der Ausstellung?
Alexander Braun: Wir haben das Glück, einige der Originalentwürfe von Stephen Dane zu Requisiten aus den ersten beiden Ghostbuster-Filmen zeigen zu können. Konstruktionszeichnungen zu Waffen und Schleim-Absaugern etc. Das ist nicht wirklich Horror im engeren Sinne, und auch kein Comic, aber diese Zeichnungen sind noch nie zu sehen gewesen und Stephen Dane war in Hollywood wirklich einer der Besten. Er hatte zuvor schon an Ridley Scotts Bladerunner mitgearbeitet. Das Gerät für den Voight-Kampff-Test stammt von ihm. Wenn man die Gelegenheit bekommt, so etwas zeigen zu können, muss man das einfach tun.
CRS: Hast du schon neue Ideen für spannende Comic-Sekundär-Literatur?
Alexander Braun: Wenn ich nur eine Idee hätte, wäre ich spät dran (lacht). Es sind schon vier Kapitel geschrieben. Im Oktober muss das Buch in Druck gehen, im November wird die Ausstellung dazu eröffnet. Lass Dich überraschen.
CRS: Vielen Dank und viel Erfolg für das Buch und die Ausstellung!
Die Ausstellung „Horror im Comic“ im schauraum comic + cartoon ist in Dortmund noch bis 14. August 2022 zu sehen.
LINK für weitere Infos
(c)opyright der Abbildungen, mit freundlicher Genehmigung: Avant Verlag 2022
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