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geschrieben von StefanS am
Mittwoch, 30. Oktober 2013
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Bildergeschichten und Karikaturen aus der Zeit Kaiser Wilhelms II.
Die Zeitmaschine hat uns Comic-Leser ins Deutschland des Jahres 1913 geworfen. Was sollen wir lesen? Marvel-Comics sind beim Krämer nicht zu finden, Abenteuer mit Thor gibt es schon, aber nicht so schön bunt wie gewohnt und ohne die Avengers. Also bleibt der Griff zu einer Lektüre namens „Simplicissimus“. Mal gucken, was es noch alles zu entdecken gibt – da hinten steht eine Pickelhaube, auf einer Leinwand ist ein Truppenaufmarsch zu sehen. Schauen wir uns das doch mal genauer an...
Vom 20. Oktober 2013 bis zum 19. Januar 2014 zeigt das Wilhelm Busch Deutsches Museum für Karikatur & Zeichenkunst in Hannover die Ausstellung „Zwischen Kaiserwetter und Donnergrollen“. Auf beiden Etagen des Museums werden 75 Originalzeichnungen aus „der Zeitschrift Simplicissimus, unserem internationalen Flaggschiff für Karikaturen“ und andere Exponate, wie ein Gemälde Kaiser Wilhelms II., gezeigt, „um ein Gefühl von dieser Zeit zu vermitteln“, wie Museumsdirektorin Dr. Gisela Vetter-Liebenow erklärt. Weiterhin wird das Goldene Buch der Stadt Hannover ausgestellt, in dem sich die Unterschrift von Wilhelm II. findet, der 1913 das Rathaus von Hannover einweihte.
Wessen Werke werden gezeigt, welche Themen werden behandelt?
Vertreten sind Arbeiten der elf Künstler Karl Arnold (1883–1953), Marcel (Marcello) Dudovich (1878–1962), Olaf Gulbransson (1873–1958), Thomas Theodor Heine (1867–1948), Bruno Paul (1874–1968), Ferdinand von Reznicek (1868–1909), Wilhelm Schulz (1865–1952), Eduard Thöny (1866–1950), Brynolf Wennerberg (1866–1950), Rudolf Wilke (1873–1908) und Heinrich Zille (1858–1929).
Bildergeschichte “Ein Tag aus der Kindheit des serbischen Kronprinzen” von Thomas Theodor Heine, 1909
Die Ausstellung besteht aus zwölf Themengebieten: (1) Adel und Monarchie, (2) Offizierskorps und Burschenschaften, (3) Wilhelm II.: Maritime Begeisterung und Flottenpolitik, (4)Majestätsbeleidigung und Skandalgeschichten, (5) Parteien und Institutionen, (6) Kultur und Unterhaltung, (7) Neue Zeiten kündigen sich an…, (8) Die soziale Frage, (9) Die Frauenbewegung, (10) Koloniales Machtstreben, (11) Krisenherd Russland sowie (12) Internationale Konflikte und die Balkankrisen.
Museumsdirektorin Dr. Gisela Vetter-Liebenow und Hannovers früherer Bürgermeister (von 1972 bis 2006) Herbert Schmalstieg
„Bildergeschichten und Karikaturen“ statt Comics und Cartoons
Für Comic-Interessierte gibt es über 100 Jahre alte Comics und Cartoons zu sehen – auch wenn sie damals nicht so genannt wurden. Als „Bildergeschichten“ wurden sie bezeichnet und „der Begriff Cartoon kommt aus den USA und wurde erst seit den 1920er Jahren verwendet“, sagt Pressesprecher Dr. Kai Gurski. Für das gehobene Bürgertum gab es in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg solche erfreulichen Neuheiten wie die ersten Kleider von der Stange, während anderswo Konfliktherde brodelten, etwa der Boxeraufstand in China, die drohende Revolution in Russland, soziale Unruhe in der Arbeiterschaft und auch die Konflikte auf dem Balkan.
Unterschrift von Kaiser Wilhelm II. ins Goldene Buch der Stadt Hannover, anlässlich der Eröffnung des Rathauses 1913
„Bürgertum, erstaunlicherweise auch Offiziere“ waren die Leserschaft des „Simplicissimus“ sagt Gurski. War denn die Mischung aus Texten und Bildern damals nicht verpönt und wurde sie nicht als Kinderkram oder Lektüre für weniger Intelligente abgetan, frage ich. „Überhaupt nicht. Das kam erst ab den 1950er Jahren“ antwortet der Pressesprecher und ergänzt „Kürzlich hatten wir hier die Ausstellung zu Karl May, da gab es etwa die illustrierten Ausgaben, was bei Reisegeschichten durchaus üblich war. Und sicher wurde damals schon von einigen die Meinung vertreten, dass der Text für sich allein spricht und etwas Höherwertiges ist als Bilder“. Um den Bogen zu 100 Jahren Manfred Schmidt 2013 zu schlagen, frage ich, ob sich der Erfinder von Nick Knatterton denn nicht auf den guten Ruf des Simplicissimus berufen konnte, schließlich galten Comics nach dem Zweiten Weltkrieg nun oftmals als minderwertige Lektüre. „Nein, darauf hat sich Schmidt nicht berufen.“ antwortet Gurski.
Welchen Einfluss hatte Wilhelm Busch auf die Zeichner des „Simplicissimus“? „Er galt als der große Meister“, sagt Gurski. Das Museum zeigt Ausgaben der Zeitschrift, in denen Busch besonders gewürdigt wurde.
Pressekonferenz am 18.10.2013
In den letzten Jahren war oft von verfolgten Karikaturisten die Rede. Das gab es auch Anfang des 20. Jahrhunderts schon. Religiöse Themen wurden durchaus auch im „Simplicissimus“ aufgegriffen. Ein heikles Thema waren allerdings vor allem Karikaturen über Wilhelm II. Um eine Klage wegen „Majestätsbeleidigung“ zu vermeiden, wurde das Staatsoberhaupt nicht direkt dargestellt, sondern Tricks verwendet: Etwa Zeichnungen, auf der nur die Rückseite der Person zu sehen war. Oder es mussten die Cäsaren des Römischen Reiches als Stellvertreter herhalten. Einen dieser Skandale greift die Ausstellung auf. „Der Verleger Albert Lang musste damals in die Schweiz flüchten und Zeichner Thomas Theodor Heine wurde wegen Majestätsbeleidigung angeklagt“ erläutert Vetter-Liebenow und ergänzt „Offenbar war sich Wilhelm II aber auch der popularitätssteigernden Wirkung von Karikaturen bewusst und er stellte sogar solche Werke auf seiner Yacht Hohenzollern aus.“.
“Erstes Werbeplakat für den Simplicissimus” von Thomas Theodor Heine, 1896
Beliebt, einflussreich und wichtig bis heute: Der Simplicissimus
„Simplicissimus ist, vielleicht bis heute, die wichtigste satirische Zeitung Deutschlands“ sagt Vetter-Liebenow und nennt zwei prominente Sammler alter Exemplare des Magazins: „Karl Lagerfeld und Thomas Wolfe“. 1896 erschien die Erstausgabe. Bis ins Dritte Reich, genauer bis zum 13.9.1944 hielt sie sich. Es folgte eine Pause und nach dem Zweiten Weltkrieg ging es weiter. „Einer der ersten Künstler, der in den 1950er Jahren im Wilhelm Busch Museum war und seine Werke ausstellte war Simplicissimus-Künstler Olaf Gulbransson“ betont die Museumsdirektorin. Später sah sich das Magazin „Pardon“ als Nachfolger der legendären Zeitschrift, die zwar „nicht in andere Sprachen übersetzt, aber international gelesen wurde, etwa in den deutschen Kolonien in Afrika und China“, so Kai Gurski. Kolonien hat Deutschland längst nicht mehr und auch anderes hat sich geändert. „Die Suffragettenbewegung in Großbritannien, also die Forderung nach Gleichberechtigung für Frauen, stieß bei den Zeichnern des Simplicissimus, allesamt Männer, auf Skepsis. Das ist auch ein Verbindungsstück zu unserer vorherigen Ausstellung British Humour.“ sagt Vetter-Liebenow.
Vorbild für viele, auch für den Simpicissimus: Wilhelm Busch
Zwei Modellschiffe verkünden von der deutschen Flottenaufrüstung, nachkolorierte Originalfilmaufnahmen von 1913 zeigen eine Truppenparade – der Krieg war nicht mehr fern, und die Simplicissimus-Künstler ahnten, dass er „fürchterlich und unkontrollierbar werden würde“, so Dr. Vetter Liebenow. Der Roman „Kaiserwetter“ von Karl Jakob Hirsch schildert diese Zeit, eine Erstausgabe ist in einer Vitrine zu sehen. Weitere Lektüre zum Thema bietet der Katalog zur Ausstellung.
Höfisches Leben & Flottenbau
Auf nach Hannover?
Nach „Grüffelo“ und Manfred Schmidt, nach Karl May und British Humour bietet auch die neue Ausstellung viel Sehenswertes, auch für Comicleser. „Die 35.000 Ausstellungsstücke des Museum gibt es nirgendwo sonst“ betont Hannovers langjähriger, ehemaliger Bürgermeister Herbert Schmalstieg. Der gute Ruf des Museums erleichtere es weitere attraktive Stücke hinzuzufügen und den Reiz und die Bedeutung weit über Hannovers Grenzen hinaus zu steigern. Am Sonntag den 20.10.2013 eröffnet Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder die Ausstellung.
Erste Mode von der Stange für das gehobene Bürgertum
Ausstellung „Zwischen Kaiserwetter und Donnergrollen“
vom 20.10. 2013 bis zum 19.1.2014
WILHELM BUSCH – DEUTSCHES MUSEUM FÜR KARIKATUR UND ZEICHENKUNST
ADRESSE Georgengarten, 30167 Hannover
HOMEPAGE http://www.karikatur-museum.de
EINTRITTSPREISE Einzelkarte 4,50 €
Familienkarte 10,00 €
Ermäßigt 2,50 €
ÖFFNUNGSZEITEN Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 11–18 Uhr
PARKMÖGLICHKEITEN Parkplätze in unmittelbarer Nähe des Museums
NAHVERKEHR Straßenbahnlinie 4 und 5,
Haltestelle Schneiderberg/Wilhelm-Busch-Museum
Hilfen für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen stehen zur Verfügung
“Der Versuch auf der eingeseiften Kletterstange” von Olaf Gulbransson, 1908
Der Simplicissimus von 1898
Der Simplicissimus von 1899
Nick Knatterton, Mangas, Cartoons – alles unter einer Haube in Hannover
(c) der Fotos Stefan Svik 2013
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