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geschrieben von Peixe am
Samstag, 06. Juni 2009
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Schreiber & Leser hat edlere Comics zu bieten
Wer meinem Urteil vertraut, spare sich die Zeit, diese Rezension zu lesen und meide Alex Varennes „Carlotta“ und verbringe seine Zeit angenehmer.
Wer es genauer wissen will: Persönlich lockte mich die Thematik „Menschenhandel und Zwangsprostitution“, ein aktuelles, ein komplexes und sensibles Thema, das ich im Comic noch nicht bearbeitet gefunden habe. Lediglich im Französischen stieß ich auf eine Sammlung von Comics zu „Sans papiers“ (Paroles sans papiers (collectif) - Delcourt), auf deren deutsche Übersetzung ich noch warte.
Zunächst einmal zur „Story“: Sie besteht kurz und bündig darin, dass ein Mann, zufällig Cop, sich zufällig in einem Bordell einquartiert, scheinbar ohne sich dessen bewusst zu sein, und von dem Mädchen Carlotta auf professionelle Weise angemacht wird. Er verweigert sich ihren Avancen und findet schnell heraus, dass sie von einer Bande zu diesem Treiben gezwungen wird - Zwangsprostitution also. Seine Hauptaufgabe besteht nun darin, Carlotta die Waffe zu liefern, damit sie sich an ihren Peinigern rächen kann. Fortan fühlt man sich wie im Computerspiel, in dem Carlotta diverse Waffen findet und die Menschenhändler stets auf eine Weise umbringt, die Bezug zu dem Leid haben, das diese Männer ihr zugefügt haben: wer ihr ein Auge ausgestochen hat, wird durch Stiche eben dorthin gemeuchelt, wer … doch sparen wir uns diese Abartigkeiten einer „Story“, die schon den Zenit von Varennes Schaffenskraft ausmachen.
Alex Varenne demonstriert glaubwürdig, dass er weder Ahnung von Menschenhandel hat noch einen Hauch an psychologischem Gespür für jemanden in dieser extremen Situation. Hätte er wenigstens eine Autobiografie einer Frau gelesen, die dieser Hölle entronnen ist! Doch er hat sich die dümmsten und abstrusesten Klischees zurecht gelegt. Gesichtsausdrücke und Dialoge sind platt wie BILD-Überschriften. So unstimmig konstruiert ist die Sprache und so unecht verheddern sich die Emotionen in Ungereimtheiten, dass es fast schon wieder komisch ist, wenn die verängstigte Zwangsprostituierte im engen Haus auf der Flucht vor den Mordbuben dem neuen und ihr unbekannten Gefährten erst mal gemütlich ihre Lebensgeschichte erzählt und verschiedene Kleider probiert, um ihm stolz zu demonstrieren, wie wandlungsfähig sie als Prostituierte sei. Vertrauen und Misstrauen hätten ein zentrales Thema sein müssen, doch die Begriffe fallen wie Fremdwörter, deren Bedeutungen Alex Varenne unbekannt sind. Bitter und unverzeihlich ist, dass Varenne seiner Schöpfung Carlotta die Worte in den Mund legt, dass die Zwangsprostitution ihr manchmal gefallen habe… Auch erotische Posen als Schmankerl für den Betrachter (wie man sie ab und an bei Milo Manara genießen kann) verbieten sich in diesem Milieu, denn sie machen Zeichner und Betrachter zu Nutznießern und Spöttern des sexuellen Missbrauchs. Und offensichtlich rechnet Varenne mit dummen Lesern, denn manche offensichtliche Folgerung dieser an Einfachheit nicht zu überbietenden Erzählung denkt der überflüssige Cop noch einmal ausdrücklich für die Leser mit. (Deshalb zu seinem eigenen Schutz keine Ausführungen zur Vita vom Zeichner und Verfasser.)
Der Verlag Schreiber & Leser hat edlere Comics zu bieten. Man stöbere an diesem hier bloß schnell vorbei und widme sich den anderen, etwa Liebe und andere Lügengeschichten von Kiriko Nananan, um nur eines zu nennen.
Carlotta
Zeichnungen/Text: Alex Varenne
70 Seiten, Softcover, s/w
Schreiber & Leser, München, 14,95 Euro
Carlotta von Alex Varenne kannst Du (wenn Du unbedingt willst) gerne auch hier kaufen.
(c) der Abb.: Alex Varenne und Schreiber & Leser
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