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geschrieben von M.Hüster am
Mittwoch, 04. Juli 2007
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Eine Comic-Legende
In seiner Heimat Belgien ist Hergé so etwas wie ein nationaler Held. Der Comiczeichner, der mit bürgerlichem Namen eigentlich Georges Remi hieß, wäre am 22. Mai 100 Jahre alt geworden. Sein bekanntestes Werk sind die Abenteuer von "Tim und Struppi".
Tim, ein junger Reporter und sein weißer Foxterrier, der auf den Namen Struppi hört, erblickten am 10.01.29 in Le Petit Vingtième, einer Kinderbeilage der belgischen Zeitung Vingtième Siècle, das Licht der Welt. Mit mehr als 165 Million Büchern weltweit gehört die Comic-Serie des belgischen Zeichners und Szenaristen Georges Remi alias Hergé zu den erfolgreichsten Vertretern in der Welt der bunten Bilder. Allein in Deutschland wurden seit 1967, als der Hamburger Carlsen Verlag mit der Publikation von Hergés Comics begann, insgesamt 8 Millionen Exemplare verkauft, und für alle jungen und jung gebliebenen Leser zwischen 7 und 77 Jahren sind die pfiffigen Einfälle des Reporters Tim und die deftigen Sprüche von Kapitän Haddock längst ein Stück Kulturgut geworden.
Die Entwicklung Georges Remis (1907-1983) zum großen Zeichner entsprach der vieler berühmter Comic-Autoren: Schon früh zeigte Remi Interesse am Malen und Zeichnen. Die ältesten erhaltenen Bilder stammen aus dem Jahre 1912. Bereits während seiner Schulzeit zeichnete er Titelbilder und Illustrationen für Pfadfindermagazine, Bücher, Zeitschriften, Kalender und Postkarten.
1925 begann er eine Tätigkeit als Büroangestellter der römisch-katholischen Tageszeitung Le Vingtième Siècle. Daneben zeichnete Hergé für das Pfadfindermagazin ‚Le Boy Scout‘ ab 1926 eine Bildergeschichte mit dem Titel ‚Totor, Patrouillenführer der Maikäfer‘ und kreierte 1928, inzwischen zum Chefredakteur von ‚Le Petit Vingtième‘ aufgestiegen, die Serie ‚L’extraordinaire aventures de Flup, Nénesse, Poussette et Cochonnet‘. Der große Durchbruch gelang Hergé dann 1929 mit Tim und Struppi. In der ersten Geschichte reiste Tim, als Reporter von Le Petit Vingtième, in die Sowjetunion. Schon am Beginn der Handlung erhielt Tim, als Folge einer rasanten Flucht mit einem Auto, sein Markenzeichen: Die typische Haartolle. Die Story war gleich so erfolgreich, dass sich die Auflage der Donnerstagausgabe von Vingtième Siècle, wenn Le Petit Vingtième der Zeitung beilag, versechsfachte!
1930 sorgte ein Werbegag des Verlegers von Vingtième Siècle/Le Petit Vingtième für einen Volksauflauf: Am Brüsseler Nordbahnhof wurde die Rückkehr ‚echter Helden‘ aus dem Land der Sowjets inszeniert, auf die Tausende von Kinder und deren Eltern warteten. Die Rolle von Tim übernahm der vierzehnjährige Pfadfinder Lucien Pepermans, dem ein weißer Foxterrier zur Seite gestellt wurde. Unter dem Eindruck des riesigen Erfolges entschloss sich Hergé, weitere Folgen von ‚Tintin et Milou‘, so die Originalnamen von Tim und Struppi, zu veröffentlichen.
1933 gab Hergé seine Stelle als Chefredakteur auf, um sein eigenes Reklameatelier Hergé Publicité zu gründen. Während der Vorabdruck der Geschichten weiterhin in Le Petit Vingtième erfolgte, wurde der belgische Casterman Verlag ab 1934 Herausgeber der Albenausgaben der Abenteuer von Tim und Struppi. Hergé wechselte damit zu einem professionellen Verleger, der auch heute noch die Alben herausgibt. In der 1934 erschienenen vierten Geschichte ‚Die Zigarren des Pharao‘ traten erstmals die wichtigen Nebenfiguren Schulze und Schultze und der Schurke Rastapopoulus auf.
Bei den ersten Abenteuern von Tim und Struppi verlies sich Hergé noch auf sehr begrenztes Dokumentationsmaterial. Während der Vorbereitungsarbeiten für das fünfte Abenteuer ‚Der Blaue Lotus‘ lernte Hergé 1934 den jungen chinesischen Kunststudenten Tschang Tschong-Jen (1907-1998) kennen, der 1932 nach Brüssel kam, um an der Hochschule der bildenden Künste zu studieren. Tschang machte ihn mit den Lebensverhältnissen in China vertraut. Es entwickelte sich ein freundschaftliche Beziehung, die auch für Hergés Arbeitsstil einen Wendepunkt bedeutete. Der Zeichner begriff die Wichtigkeit eines solide konstruierten Szenarios und die Notwendigkeit, sich hinreichend zu informieren. Der Kontakt zu Tschang inspirierte Hergé dazu, seinem Helden im Album ‚Der Blaue Lotus‘ einen jungen Chinesen gleichen Namens zur Seite zu stellen.
Aus der Feder Hergés stammen auch die Abenteuer von Stups und Steppke, deren Hauptakteure zwei Brüsseler Lausbuben gleichen Namens sind und die der Geschwister Jo und Jette und ihres Schimpansen Jocko. Von Mitte bis Ende der 1930er Jahre entwickelte Hergé durch die vielen Veröffentlichungen einen einfachen und schnörkellosen Zeichenstil, der später Schule machte und unter der Bezeichnung ‚Ligne claire‘ bekannt wurde.
Während der Kriegsjahre erschienen die Abenteuer von Tim und Struppi in Le Soir Jeunesse. Le Soir Jeunesse wurde, nach dem Vorbild von Le Petit Vingtième, von Hergé gemeinsam mit Raymond de Becker, dem Chefredakteur von Le Soir und dem künstlerischen Leiter der Zeitung, Jaques van Melkebeke, als wöchentliche Jugendbeilage der Tageszeitung Le Soir konzipiert. Le Soir war eine der wenigen belgischen Zeitungen, deren Weitererscheinen von den Besatzern noch genehmigt wurde. Die Besonderheit der ersten in Le Soir Jeunesse 1940/41 abgedruckten neunten Geschichte ‚Die Krabbe mit den goldenen Scheren‘ war die Einführung der Figur des herrlich fluchenden und trinkfreudigen Kapitän Haddock, der sich im Verlauf der Serie zu einem echten Sympathieträger entwickelte.
Weitere wichtige Charaktere aus dem Tim und Struppi-Universum sind der schwerhörige Erfinder Professor Bienlein und die Operndiva Bianca Castafiore.
Gemeinsam mit seinem Kollegen van Melkebeke schrieb Hergé außerdem zwei Theaterstücke um den jungen Reporter: ‚Tintin aux Indes, ou la Mystère du Diamant bleu‘ und ‚Mr. Boullock a disparu...‘ wurden 1941/42 im Théâtre Royal des Galeries in Brüssel aufgeführt.
Die Befreiung Belgiens am 03.09.44 bedeutete das Ende der Veröffentlichung von Tim und Struppi in der Zeitung Le Soir/Le Soir Jeunesse.
Ein Projekt, bereits 1941 erstmals angedacht, nahm nach Kriegsende Gestalt an: Der Plan, ein belgisches Tim und Struppi-Magazin zu veröffentlichen. Am 26. September 1946 erschien die erste Nummer des wöchentlichen Comicmagazins ‚Tintin‘. Herausgeber war Raymond Leblanc, geschäftsführender Leiter des neuen Verlagshauses Les Éditions du Lombard.
Mit der ständig zunehmenden Popularität von Tim und Struppi stieg aber auch der Umfang von verwaltungstechnischen Dingen und Nebenproduktionen. Außerdem wuchs Hergés Verantwortungsgefühl mit jedem neuen Abenteuer seiner Helden, so dass gründliche Recherchen im Arbeitsprozess einen immer größeren Raum einnahmen. Daher gründete Hergé 1950 ein eigenes Zeichenstudios. Zu den vielen Mitarbeitern, die im Laufe der Jahre für die Studios Hergé arbeiteten, zählten u.a. so bekannte Künstler wie Bob de Moor, Jacques Martin und Roger Leloup.
Der Erfolg der Serie führte schon relativ früh dazu, dass die Abenteuer auch für das Kino bearbeitet wurden. Die ersten Versuche waren nach dem Kriegsende Diafilme, in denen die Comic-Bilder nacheinander an die Leinwand geworfen wurden. 1947 verfilmte Claude Misonne das Album ‚Die Krabbe mit den goldenen Scheren‘ mit Puppen, die jedes Bild nachspielten. Zwei Formen von Adaptionen sollten sich später durchsetzten: Realverfilmungen und Zeichentrickanimationen. Zunächst wurden 1956 in dem zum Lombard Verlag gehörenden Trickfilmstudio Belvision zwei halbstündige Zeichentrickfilme und dann ab 1959 sieben kurze Zeichentrickfilme mit je fünf Minuten Länge für das Fernsehen produziert.
1960 kam dann der erste Tim-Realfilm in die Kinos: In ‚Tim und das Geheimnis um das Goldene Vlies‘ wurde der Comic-Held von dem jungen Belgier Jean-Pierre Talbot verkörpert, der in einer weiteren Verfilmung vier Jahre später in ‚Tim und die blauen Orangen‘ erneut die Hauptrolle übernahm.
Ermutigt durch die zehn Jahre zuvor entstandenen kurzen Trickfilme, die im Fernsehen großen Erfolg hatten, produzierten die Brüsseler Belvision-Studios 1969 einen abendfüllenden Zeichentrickfilm nach der Vorlage des Bandes ‚Der Sonnentempel‘, dem 1973 der Zeichentrickfilm ‚Tim und der Haifischsee‘ folgte.
Die Anerkennungen für Hergé und seine Comic-Stars, die selbst im ‚Comic-Entwicklungsland‘ Deutschland fast jeder kennt, blieben nicht aus: 1976 wurde eine Tim und Struppi-Bronzestatue in Brüssel eingeweiht und die belgische Post nahm 1979 das 50jährige Tim und Struppi-Jubiläum zum Anlass, Hergés Helden mit einer Briefmarke zu ehren. Die belgische Astronomische Gesellschaft benannte sogar einen Himmelskörper nach dem berühmten Autor: Der Asteroid Hergé liegt zwischen dem Mars und dem Jupiter.
Insgesamt schrieb und zeichnete Hergé in seiner langen Karriere 23 Tim und Struppi-Alben. Die bisher letzten, in den 1990er Jahren für das Fernsehen entstandenen 21 Zeichentrickfilme der kanadischen Produktionsfirma Ellipse sind die bisher gelungensten Trickfilmanimationen. Die Filme mit einer Länge von je 26 Minuten geben die Atmosphäre und die Charaktere der Originalalben am besten wieder. In Deutschland war die Reihe bei Premiere und im ZDF zu sehen.
Eine letzte, vor seinem Tod nicht mehr fertig gestellte Geschichte mit dem Titel "Tim und die Alpha-Kunst" wurde 1986 als Fragment veröffentlicht.
© aller Abbildungen: Hergé / Moulinsart – Casterman – Éditions Reporter – Carlsen Verlag GmbH Hamburg.
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