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geschrieben von Maqz am
Freitag, 18. Dezember 2015
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"...das Glück liegt abseits der ausgetretenen Pfade!"
Unsere letzte Rezension zu Tobi Dahmen (über Sperrbezirk) liegt gut 8 Jahre zurück. Doch heuer hat sich der gebürtige Frankfurter (und/aber in Wesel aufgewachsene) mit einem Paukenschlag bei mir und seiner Fangemeinde zurückgemeldet. Mit dem 480seitigen Monster-Comicwälzer Fahrradmod rollte er gerade nicht nur unsere Comic/Graphic Novel-Szene auf. Von einigen Belesenen wurde Fahrradmod schon in den Kreis um die besten Comics des Jahres gesetzt. Ich wollte mal bei Tobi nachfragen, wo er seine Arbeit sieht, und noch einiges mehr...
ComicRadioShow: Hallo Tobi, na da hast Du ja dieses Jahr etwas Großes abgeliefert. Wie hast Du dich so nach der Abgabe der Seiten zum Drucken gefühlt?
Ein erster grosser Moment war das Zeichnen des letzten Panels, das ich ja auch für die Leserschaft auf Video festgehalten hab. Die eigentliche Abgabe war ziemlich stressig, ich hatte parallel auch noch drei (!) Abgaben von grösseren Aufträgen, weil ich kurz darauf in Urlaub fahren wollte. Das war ein Stress, sowas brauch ich nicht nochmal, es hat also noch ein Weilchen gedauert, bis man diesen Moment wirklich verinnerlicht hat.
CRS: Und wie wars, als Du dann das erste gedruckte Exemplar in den Händen gehalten hast?
Das war dann wirklich sehr schön, ich hatte an dem Tag noch ein Treffen mit Zeichnerkollegen, und wollte das Paket, dass da auf einmal im Büro lag, nicht direkt aufmachen. Ich hab noch den ganzen Tag gewartet, bis zu einem Abendessen mit meiner Frau und Freunden, und das Paket dann als Nachtisch aufgemacht. Das war sehr schön. In den Tagen danach lag das Ding aber erstmal ein Weilchen auf der Kommode und ich hab nur ab und zu ein wenig vorsichtig reingelinst.
CRS: Wie lange hast jetzt letztendlich für Fahrradmod gebraucht?
Ich hab vor achteinhalb Jahren mit einem Work-in Progress-Blog angefangen,www.fahrradmod.blogspot.com und seit 2011 gibt’s den richtigen Webcomic fahrradmod.de.
Also wie gesagt, über acht Jahre. Es hat aber vor allem so lange gedauert, weil ich nebenher noch meine Auftragsarbeiten mache, und auch sonst sehr viel bei mir in diesen Jahren passiert ist.
CRS: Gib es schon erste Verkaufszahlen, die man veröffentlichen kann?
Ich habe gerade gehört, dass die erste Auflage komplett weg ist, nach knapp 2,5 Monaten. Wir haben die letzten Bestände bei der Signierstunde und Releaseparty in Düsseldorf verkauft. Die zweite Auflage ist aber unterwegs und dürfte dieser Tage eintreffen.
CRS: Was war Dein wesentliches Thema in Fahrradmod?
Ich fand relativ wichtig, dass ich die Zeit der achtziger und neunziger Jahre gut abbilde, inwiefern Jugend und Popkultur damals anders war als heute. Gleichzeitig war es mir natürlich wichtig, die Subkultur selbst richtig und auch in den Details korrekt darzustellen. Ich habe aber gleichzeitig durch viele Leser gehört, dass sie diese Bühne schön und interessant finden, dass sie sich aber trotzdem in der Geschichte wiederfinden, obwohl sie selber in ganz anderen Subkulturen unterwegs waren. Es scheint, als ob die Codes zwar unterschiedlich sind, sich aber gleichzeitig viele Dinge beim Heranwachsen im Untergrund ähneln.
CRS: Du beschreibst in Deinem Blog Fahrradmod als einen "autobiographischen Comic über meine Jugend in einer Kleinstadt und die örtliche Sixties Jugendsubkultur der Mods". Ende Oktober hattest Du dann eine Signierstunde in Wesel. Gabs ein freudiges Wiedersehem mit deiner (ge)alte(rte)n Subkultur?
Die Veranstaltung war schon sehr gut besucht, da kamen viele altbekannte Gesichter. Lustig war aber auch, dass viele Eltern von alten Freunden vorbeikamen, die das Buch für ihre Kinder besorgten, die inzwischen weit weg wohnen. Abends gab es aber auch noch eine Party von einigen Leuten, die auch im Buch eine Rolle spielen, der örtliche „Musik Club“. Da haben wir dann noch ein bisschen gefeiert.
CRS: Gabs eigentlich ein generelles Statement aus der MOD-Szene zu deinem Comic/deiner Geschichte?
Ich hab mir da ein wenig Sorgen gemacht, die Mods sind ja eher streng was Ihre Inhalte angeht, und sehen Ihre Szene oft nicht so gerne ans Tageslicht gezerrt. Aber das war unnötig, die feiern das Buch alle sehr und freuen sich für mich. Zumindest hab ich aus diesen Reihen nichts anderes gehört. Und ich glaube, ein bisschen feiern sie damit auch sich selbst, sie sind stolz auf ihr Lebensgefühl und empfinden dieses als korrekt interpretiert. Ich glaube, es hilft auch, dass sie anerkennen, dass das Buch aus ihrer Mitte kommt und die Szene nicht von aussen betrachtet wird.
CRS: Wenn ich heute die Nachrichten zu deinem Werk aufrufe, bekomme ich Beiträge von Jungle World, Stern, Zeit Online, Hamburger Abendblatt, RP-Online, Tagesspiegel, Radsport Aktiv... . Welche hat Dich besonders gefreut?
In letzter Zeit kommen ja auch noch Beiträge im Radio und Fernsehen dazu (Radio; TV). Dieser ganze Rummel haut mich schon ziemlich um. Ich hab nicht damit gerechnet. Besonders schön ist es natürlich, wenn die Presse mein Buch schon teilweise zu den besten Comics des Jahres zählt. Und ich freue mich immer, wenn der Schreiber auch ein wenig analytisch vorgeht und meine Geschichte in einen kulturellen Kontext der Entwicklung von Jugendszene stellt. Da sind besonders die Artikel in der Jungle World und der Intro zu nennen. Aber ich freu mich natürlich über all diese zahlreichen und positiven Artikel. Komischerweise kommen die beiden bisher einzigen negativen Reaktionen aus der Comicpresse. Und ich dachte immer, die Mods wären besonders streng
CRS: Gab' eigentlich auch solche Reaktionen aus dem Fahrrad-Land Holland, oder wenigstesn aus deinem derzeitigen Wohnort Utrecht?
Das ist natürlich noch recht bescheiden, es sind eigentlich nur Reaktionen von Leuten, die ich persönlich kenne, und die auch des Deutschen mächtig sind.
Ich hab allerdings auch einzelne Seiten schon mal letztes Jahr bei den Stripdagen in Haarlem ausgestellt und würde da auch gerne noch mehr machen, ich hab auch schon mal bei ein paar Stellen angesprochen, den Austausch zwischen den Niederlanden und Deutschland zu intensivieren. Ich denke, da könnten beide von profitieren. Mal sehen, was da noch kommt.
CRS: Das bringt mich natürlich zur Frage, ob und in welche Spreche Du Fahrradmod übersetzen (lassen) möchtest?
Alle! Naja, im Ernst, die Modszene hat sich mittlerweile über den ganzen Erdball verbreitet, und es gibt noch so einige Hotspots, wie Italien oder Spanien, wo das Sinn machen würde. Die Niederlande würde mich natürlich persönlich freuen, auch wenn die Szene da recht klein ist. Aber England wäre schon der grösste Herzenswunsch, da kommt das alles ja her, und die Mod- und Northern Soul-Szene ist immer noch ein wichtiger Teil der Popkultur.
CRS: Noch spannender für mich Deine Antwort auf die Frage, ob Du die Fernseh-/Film-Rechte für den Stoff schon angefragt bzw. verkauft hast?
Haha, also so weit sind wir natürlich noch nicht. Aber ich höre die Frage nicht zum ersten Mal, das stimmt schon. Man könnte natürlich so die Musik noch besser in die Geschichte integrieren. Ich hab mir zwar grosse Mühe gemacht, die Musik auch in meine Bilder einzubetten, aber die Perfektion von Soul Musik kann man eben nie so ganz abbilden. Dafür braucht man das Original.
CRS: Dereinst gab es in diversen Comics vorab die Empfehlung doch diese oder jene Musik parallel zum Comicgenuß aufzulegen. Wie ist Deine Empfehlung zu Fahrradmod?
Ich hab einen Mix gemacht, den man sich anhören kann, wenn man sich für die Musik interessiert. Darin sind eigentlich alle Stücke aus dem Buch enthalten, die ich immer noch gut und wichtig finde. Das ganze findet man auf www.mixcloud.com/fahrradmod.
CRS: Nun hab ich schon von vielen Comic-Zeichnern gehört, dass das Zeichnen von Fahrrädern nun wirklich nicht die einfachste Übung sei. Was ist Dein Geheimnis?
Das wichtigste: selbst Fahrrad fahren! Am schwierigsten finde ich aber gar nicht das Fahrrad selber, sondern die Proportionen und Gliedmassen der Figur, die drauf sitzt damit in Einklang zu bringen. So war zum Beispiel der Fahrradlenker auf dem ersten Coverentwurf viel zu klein. Ich helfe mir aber auch damit, auf Fotos nachzugucken, wie das genau aussieht, klar.
CRS: Auch in der Neunten Kunst gilt: Nach dem Comic ist vor dem (neuen) Comic. Was sind Deine nächsten Projekte, die (hoffentlich) nicht wieder acht Jahre dauern?
Parallel startet schon das Projekt „Rozsika“, eine Auftragsarbeit, die ich zusammen mit Jens R. Nielsen und der Kantorin der jüdischen Gemeinde von Berlin, Avitall Gerstetter bearbeite. Der Teaser wurde am 9. November bereits im Auswärtigen Amt und einer Zeitungsbeilage der Welt vorgestellt. Kann man aber auch als Clip im Netz sehen. Es geht darum um das kleine Mädchen Rozsika und ihre Freundin Hannah, die beide in Auschwitz ums Leben gekommen sind. Wir wollen aber nicht den Schrecken abbilden, sondern stattdessen überlegen, wie dieses Leben hätte aussehen können, wenn es Ihnen nicht wie über 6 Millionen anderen geraubt worden wäre. Und so auch gleichzeitig das jüdische Leben damals und heute vergleichen.
Wenn es meine Zeit erlaubt, würde ich mich aber auch mal mit der Geschichte meiner Familie in Comicform beschäftigen. Meine Eltern sind ja beide noch aus der Kriegsgeneration und da gibt es noch einige Geschichten, die es wert wären zu erzählen.
CRS: Machst Du eigentlich einen Unterschied zwischen Comic und Graphic Novel und wie magst Du Fahradmod am liebsten bezeichnet wissen? Fahrrad-Comic-Novel?
Ich hab eigentlich nichts gegen den Begriff. Ich finde aber, man sollte ihn eher im Bezug auf das Format verwenden und nicht auf den Inhalt. Natürlich ist mein Buch ein Comic, hat aber auch das Format einer Graphic Novel. Mir gefällt der Begriff Comic-Roman ganz gut.
CRS: Vor Weihnachten stellt sich natürlich auhc bei vielen Fans die Frage: "Hey, den Comic hab ich, aber was gibts noch von Fahrradmod (zu kaufen)? Und vor allem wo?
Der Jörg von Kwimbi hat noch einige schöne Sachen wie Prints, Buttons und Aufnäher. Aber ich habe auch noch einen Shop bei Spreadshirt für T-Shirts und so. Ausserdem gibt’s zahlreiche Sachen bei Society6. Das ist ein On-Demand-Shop, und da kann man sich alles bestellen, von Prints bis zur Kaffeetasse. Wird aber aus den USA geliefert, das dauert leider ein Weilchen, aber die Qualität ist sehr gut.
CRS: Und wo gibt es die nächsten Signiertermine mit Dir (oder kann man auch eine signierte Ausgabe per Post von Dir bekommen?
Fürs selber verschicken fehlt mir leider die Zeit und ausserdem ist das Porto aus Holland so teuer. Die haben nämlich leider keinen speziellen Tarif für Büchersendungen. Der nächste Termin ist eine Lesung in Frankfurt bei den Stories & Strips am 5. 2. und am Tag darauf eine Lesung mit Signierstunde im Hagener Comicshop. Es wird aber nächstes Jahr noch so einiges geben, unter anderem eine grosse Ausstellung in Wesel im Sommer. Am besten aber mal die Termine über meine Facebook-Fahrradmodseite verfolgen oder über die Carlsen Termine. Und Kwimbi hat auch immer mal signierte Ausgaben.
CRS: Verfällt man eigentlich nach so einer (langen) Arbeit in eine Art Jugend-Melancholie? Oder hast Du mit deiner Jugend/der Szene mehr oder weniger abgeschlossen?
So ein bisschen nostalgisch bin ich wohl immer schon drauf. Sonst hätte ich wohl auch nicht so ein Buch gemacht. Aber das Kapitel ist keineswegs abgeschlossen. Ich geh immer noch gern auf Szeneparties, und die Musik wird mir immer sehr viel bedeuten. Die Releaseparty in Düsseldorf hat das gerade auch wieder bestätigt. Auch wenn ich mir in diesem Moment nicht vorstellen kann, einen zweiten Teil zu zeichnen. Sorry, Leute!
CRS: Dein Credo für unsere Leser?
Klingt kitschig, aber das Glück liegt abseits der ausgetretenen Pfade. Auch wenn man irgendwo dazugehören will, sollte man immer auch sein eigenes Ding machen. Und dankbar sein für das, was einem so zufliegt. Nichts ist selbstverständlich.
CRS: Lieber Tobi, vielen Dank für das Gespräch!
LESEPROBE zu Fahrradmod
Fahrradmod
von Tobi Dahmen,
472 Seiten,
Carlsen, 29,99 Euro
Am Besten kauft man Fahrradmod direkt beim Zeichner/Verlag HIER oder beim Comichändler seines Vertrauens
...jedoch...
Fahrradmod kann man auch hier kaufen
(c) der Abbildungen mit freundlicher Genehmigung: Tobi Dahmen & Carlsen Verlag 2015
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