|
geschrieben von M.Behringer am
Freitag, 30. September 2011
(4089 Aufrufe)
|
(*)
Erinnerung an 9/11 und Hommage an Zeitungsstrips
Die Bilder der einstürzenden Twin Towers haben sich in das Kollektivgedächtnis der westlichen Welt eingebrannt. Die Ereignisse des 11. Septembers beeinflussten auch zahlreiche Comicautoren. US-Serien wie 'Ex Machina' thematisierten direkt den Terroranschlag auf das World Trade Center. Nun hat sich auch Undergroundcomix-Legende und Graphic Novel-Meister Art Spiegelman an das Thema gewagt. Der New Yorker Comicautor und Pulitzerpreisträger hat mehrere Jahren an 'Im Schatten keiner Türme' gearbeitet, das schrittweise in verschiedenen hochkarätigen Zeitungen von internationalem Rang vorabgedruckt wurde. Der Zürcher Atrium Verlag hat nun die einzelnen Episoden in gesammelter Form als opulenten Prachtband publiziert.
Spiegelman beschreibt das historische Ereignis aus seiner Perspektive, die sich als traumatisch zusammenfassen lässt. Pars pro toto lässt sich hier meines Erachtens folgendes Zitat anführen: 'Meine Staatslenker lesen das Buch der Offenbarung… Ich lese Philip K. Dicks paranoide Science-Fiction.' Das Schicksal seiner Familie, die die Terroranschläge hautnah miterlebte prallt auf ein Großereignis der Zeitgeschichte.
Wie bereits in 'Maus' erzählt der Autor das historische Ereignis nicht einfach nach, sondern durchbricht die Chronik immer wieder durch selbstreflexive und satirische Einschübe, in denen er die Post-9/11-US-Politik genauso kritisiert, wie das Verhalten der Bürger vom Big Apple. Der Altmeister erweist sich ein weiteres Mal ebenfalls als innovativer Erzähler. Nur jemand wie Spiegelmann kommt auf die Idee, ein Panel sukzessive um die Längsachse zu drehen, bis die Kontur des Achsenrückens einen der beiden Twin Tower bildet (siehe Abbildung).
Darüber hinaus erweist sich 'Im Schatten keiner Türme' aber auch als amüsante Hommage an den klassischen Zeitungscomicstrip. Als eskapistische Handlung auf 9/11 floh Spiegelman in die Welt von 'Yellow Kid', 'Kin-der-Kids', 'Little Nemo', 'Krazy Kat' oder 'Bringing Up Father'. Diese Art von Trauma-Therapie fließt wiederum als postmoderne Hommage in 'Im Schatten keiner Türme' hinein. Es macht auch gar nichts, wenn man die Vorlagen nicht kennt, denn der Band enthält als Bonusmaterial ausgewählte Strips der erwähnten Serien, so dass man die Verweise nachvollziehen kann.
Der Stil verändert sich immer wieder. Sein typischer Undergroundcomix-Strich kommt genauso vor wie Collagen aus Fotografie und Illustration. Die Hommage an die Zeitungsstrips macht sich natürlich auch grafisch bemerkbar, indem Spiegelman den Stil seiner Vorbilder nachahmt. Er greift sogar seinen eigenen Stil aus 'Maus' wieder auf - diesmal wie alle anderen Illustrationen auch in Farbe.
Das Buch erscheint in einem Überformat im kostspieligen Pappband. Die Einzelseiten sind auf dickem Karton gedruckt, was insgesamt einen edlen Eindruck hinterlässt. Das Buch liegt dafür meiner Meinung nach aber immer noch verhältnismäßig leicht in den Händen, wodurch die Lektüre nicht weiter behindert wird. Im Gegenteil: auf den verschwenderischen Doppelseiten wirken Spiegelmans Strips meines Erachtens so mächtig wie ihr bedeutungsschwerer Inhalt. Als Bonusmaterial enthält der Band neben den Comicstripnachdrucken auch einen interessanten redaktionellen Text über den Zeitungsstrip.
Was lange währt wird endlich gut! Diese Losung scheint meiner Ansicht nach auf Art Spiegelman wie die Faust auf das Auge zu passen. Nachdem er lange keine Comics mehr gezeichnet hat, sondern Illustrationen, meldet sich der radikale wie charismatische Comickünstler wieder mit einem wuchtigen Meisterwerk zurück.
Im Schatten keiner Türme
von Art Spiegelman
Pappband, 42 Seiten
Atrium Verlag 2011, 34,90 Euro
Im Schatten keiner Türme kannst Du gerne hier kaufen.
(c) der Abb.: Artium und Spiegelman
Sie können uns unterstützen! (*)Als Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.
|
|
| |
|