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geschrieben von Micha am
Freitag, 18. Februar 2011
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K(l)eine Nichtigkeiten
Lewis Trondheim ist ein gnadenloser Mann. Als ein Vogel, ein Star, gegen die Scheibe der Terrassentür fliegt und nach dem Aufprall benommen liegen bleibt, bemitleiden Trondheims Kinder den Verunglückten mit einem empathischen „Oooooooh...“ Trondheim hingegen staucht den Pechvogel noch mit erhobenem Zeigefinger zusammen: „Du wischst jetzt schön die ganze Kacke auf, die deine Kumpels auf die Terrasse gemacht haben!“
Genauso gnadenlos ist Trondheim in seiner Produktivität. Sein Titelausstoß ist legendär, und er dürfte der Anzahl der Alben nach jeden anderen europäischen Comiczeichner bereits hinter sich gelassen haben. (Allenfalls Raoul Cauvin dürfte als Texter auf ein ähnlich umfangreiches Werk kommen. Die angeblich 150.000 gezeichneten Seiten von Osamu Tezuka wird aber auch Trondheim nicht mehr erreichen, aber die 21.000 Seiten von Jack Kirby sind vielleicht noch drin.)
Vor allem die Unterschiedlichkeit der Trondheimschen Werke unterscheidet ihn von anderen Zeichnern. Während Klassiker wie Hergé, Franquin oder oder Barks und auch Zeitgenossen wie Zep oder Jim Lee zeitlebens den gleichen Stiefel gemacht haben, erprobt Trondheim nahezu sämtliche Genres und Publikationsformen. Die neue Serie „Nichtigkeiten von Lewis Trondheim“ entstand ursprünglich als autobiographischer Comic-Blog, der zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Zeilen auf einen Umfang von 607 Seiten im Internet angewachsen ist. Auf Französisch liegen vier Bände vor, der fünfte soll im März 2011 erscheinen.
Lewis Trondheim erzählt aus seinem Alltag, manchmal sind es tatsächlich uninteressante Nichtigkeiten, etwa wenn er in sechs Stunden dreimal seinen Schlüssel sucht, aber die meisten Anekdoten sind interessant und/oder witzig. Mitunter sind sie schreiend komisch, zum Beispiel als beim Comicfestival in Angoulême Moebius sich zu einer Podiumsdiskussion verspätet und Trondheim zusammen mit Kollege Joann Sfar kurzerhand in die Rollen von Jean Giraud und Moebius schlüpfen. Die beiden Witzbolde machen dieselben Bewegungen und antworten abwechselnd, gehen zusammen auf die Toilette und kehren beide mit Klopapier am jeweils rechten Schuh zurück. „Manchmal heben wir das Niveau in der Comic-Welt, manchmal nicht“, kommentiert Trondheim diesen Spaß, lässt aber offen, wer von den beiden jetzt Jean Giraud gespielt hat und wer Moebius.
Zeichnerisch ist es noch derselbe Stil wie bei seinen frühen autobiographischen Versuchen in „Approximate Continuum Comics“, allerdings sind die „Nichtigkeiten“ mit Aquarellfarben ansprechend von Trondheim handkoloriert. Auch dies ein Hinweis auf den Gestaltungswillen Trondheims, der immer wieder Neues ausprobiert.
Die deutsche Ausgabe kommt mit glatterem, helleren Papier daher als die Originalausgabe, was das Buch zwar äußerlich weniger hübsch erscheinen lässt, aber einen deutlich klarer wirkenden Druck ermöglicht. Die Übersetzung ist ausgezeichnet (bis auf ein, zwei Details, die aber nicht ins Gewicht fallen) – die „Petit riens“, wörtlich „kleine Nichtse“, mit „Nichtigkeiten“ zu übersetzen, darauf muss man erst mal kommen, und das zeugt von einem großen Sprachgefühl für die Zielsprache, die ein guter Übersetzer haben muss. Das Lettering von Herausgeber Dirk Rehm ist gewohnt brillant und wird meiner Ansicht nach zu selten gewürdigt.
Und Trondheim schafft munter weiter. Eine neue Reihe „Ralph Azham“, ähnlich wie „Donjon“ in einer mittelalterlichen Fantasywelt angesiedelt, erfährt momentan im Spirou magazine seine Vorpublikation, der erste Band soll im März erscheinen, der zweite ist auch schon halb fertig und für August 2011 angekündigt. Trondheims Frau Brigitte Findakly koloriert „Ralph Azham“ nicht wie „Herrn Hase“ am Computer, sondern per Aquarell.
Außerdem sind für September zwei neue Donjon-Bände angekündigt, und auf Trondheims Website war die erste Seite eines neuen Spirou-Abenteuers zu sehen, gezeichnet von „l'Association“-Mitbegründer Stanislas. Wo soll das alles noch hinführen?
Nichtigkeiten von Lewis Trondheim 1: der Fluch des Regenschirms
128 Seiten, Farbe
Reprodukt
16 Euro
Nichtigkeiten von Lewis Trondheim 1: Der Fluch des Regenschirms kannst Du hier gerne kaufen.
LESEPROBE zu Nichtigkeiten von Lewis Trondheim 1: der Fluch des Regenschirms
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