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geschrieben von Peixe am
Dienstag, 23. November 2010
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Bücherverbrennung im Comic
Fahrenheit 451 ist die Comic-Adaption des gleichnamigen Buches von Ray Bradbury von 1953. Der Autor selber, 90 Jahre alt, hat an der Entstehung aktiv mitgewirkt, wie das Vorwort offenbart.
Fahrenheit 451 ist ein Roman, der in meiner Jugend in einer Reihe mit George Orwells „1984“ und Aldous Huyleys „Schöne neue Welt“ stand. Bradbury konstruiert einen totalitären Staat, der die Gedanken seiner Einwohner zu ihrem eigenen Glück kontrollieren will, unter anderem indem über möglichst vier komplette Wohnzimmerwände mit Plasmabildschirmen alles vorgegeben wird, was die Menschen zu denken haben. Der typische Staatsbürger, die typische Staatsbürgerin ist oberflächlich, zu Gemütsregungen unfähig, weil diese unglücklich machen. Sorgen und Kummer, Nachdenklichkeit und Zweifel werden darum mit Pillen überwunden, damit alle glücklich sind. Gefahr geht von Büchern aus, die Lebensgeschichten und Einfühlsamkeit fördern, traurig machen oder anrühren. Der „Feuerwehrmann“ Montag hat deshalb die Aufgabe, Bücher aufzuspüren und zu verbrennen, manchmal mit den Besitzern, die sich nicht von ihren Büchern trennen möchten. Ein solcher Märtyrertod beeindruckt ihn so sehr, das er ein Buch liest und anfängt selber zu denken und in seiner kaputten Ehe die Maske fallen lässt. Nicht lange und die „Feuerwehr“ steht vor seinem Haus...
Zu den immer noch guten Szenen gehört die Begegnung mit einer Nachbarin, die naturverbunden und verbindlich im Gespräch zuhören kann, mit ihren Sinnen genießen kann, während Montag hinter Floskeln und Masken sein wahres Ich zu verbergen gelernt hat. Anschließend aber alleine doch einmal ausprobiert, ob der Regen so wunderbar schmeckt, wie die junge hübsche nachbarin sagt. Diese Szenen sind in Bildsprache, bisweilen ohne Text ausdrucksstark und berührend und haben bleibenden Wert, weil Authentizität und Fassade auch heute noch Thema ist.
Zu allem anderen an Botschaften habe ich seit meiner Jugend soviel Distanz gewonnen, dass ich das Buch inhaltlich nur noch Historikern empfehlen möchte: Die fernsehkritische Attitüde ist heute im Zeitalter des Internets überholt. Informationen werden nicht durch Zensur, sondern durch belanglose Masseninformation unzugänglich gemacht. Und selbst in realen totalitären Staaten wird nicht Belletristik, sondern Information über die gegenwärtige Unterdrückung unterbunden; dazu lese man besser Guy Delisles Triologie zu China, Nordkorea und Birma. Die Botschaft scheint mir hoffnungslos veraltet in der 57 Jahre alten Vorlage vermodert; verwundert stelle ich fest, dass es einen Film von Frank Darabont dazu in Vorbereitung gibt, obwohl der Film von Francois Truffaut von 1966 keine Wünsche offen ließ.
Die platte Gegenüberstellung der maskenhaften Familie Montags und der wenigen lebendigen Bücherleser findet sich zeichnerisch darin wieder, dass deren Gesichter plastisch dargestellt werden und man dagegen bei Montag lange nicht das Gefühl hat, ihm einmal richtig ins Gesicht geschaut zu haben. Die künstlerische Umsetzung ist durchwachsen. Neben hervorragenden Bildwelten stehen überflüssige Bebilderungen von Text, textlastige Abschnitte mit schwülstigem Pathos. Nie gelingt die Darstellung unsichtbarer Wirklichkeiten durch expressionistische Bildformen.
Hinzukommt eine grottenschlechte Übersetzung, in der sich Menschen „befreunden“ (statt anfreunden), wo „Qualität“ gesagt wird, wenn „Tiefe“ gemeint ist und „Abklatsch“ im Sinnzusammenhang eigentlich positiv gemeint sein will; daddurch verliert sich manche Ironie im Sprachwust des Übersetzers Fritz Güttinger.
Fazit: Nach dem Buch und dem Film von Truffaut nicht wirklich notwendig, möglicherweise rettungslos veraltet! Auf dem Buchrücken steht übrigens: „Tim Hamilton überführt Fahrenheit 451 mit eindringlichen und spektakulären Bildern in das 21. Jahrhundert.“ Das scheint mir mit Orwell Neusprech zu sein.
Übrigens erlaubt der Verlag nur die Veröffentlichung derjenigen Bilder, die er zuvor ausgewählt hat...ein Schelm, wer dabei (zensiert!)
Ray Bradbury ist 1920 geboren und schreibt als preisgekrönter Romanschriftsteller sozialkritischen Science Fiction („Mars-Chroniken“), Erzählungen mit Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“, die Frühling und Sommer literarisch einzufangen vermögen („Löwenzahnwein“) und Drehbuchautor („Moby Dick“).
Tim Hamilton, Jg. 1966, zeichnete die Comics „The Trouble With Girls“ und „Welcome back, Mr. Moto“, adaptierte und illustrierte R.L. Stevensons „Schatzinsel“. Neben klassischen Comic-Verlagen erscheinen seine Illustrationen auch in der New York Times.
Fahrenheit 451
Szenario und Text: Ray Bradbury
Grafik: Tim Hamilton
mit einem Vorwort von Ray Bradbury
aus dem Englischen von Fritz Güttinger
158 Seiten, Hardcover, Farbe
Eichborn, Frankfurt, 22,95 Euro
2010
Fahrenheit 451 kannst Du gerne auch hier kaufen.
(c) der Abb.: Eichborn und Hamilton mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
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