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geschrieben von Micha am
Samstag, 30. Januar 2010
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Eine Romanfigur will mehr
Eine Romanfigur will mehr: Der geheimnisvolle Groschenheft-Gentlemanganove „Der Rabe“ begibt sich aus der Welt der Vorstellung in die Realität, um seinen Autor zu überzeugen, aus ihm eine richtig böse Figur zu machen. Auf keinen Fall möchte der stets eine Maske tragende „Rabe“, dass er sich am Ende als dieser langweilige Journalist Fandorille herausstellt, eine andere Figur aus seinen Romanen. Seine wahre Identität kennt der "Rabe" selbst nämlich genauso wenig wie seine Leser - unter seiner Maske befinden sich noch keine Gesichtszüge, so lange der Autor die Identität nicht verraten hat.
Doch der „Rabe“-Autor Saint-Illiède ist so mysteriös wie seine Figur. Der „Rabe“ kann aus unbekannten Gründen nicht, wie unter erfundenen Figuren üblich, seinen Erfinder als Pforte in die Wirklichkeit benutzen, sondern muss sich mit dem jungen Literaturrezensenten Fortuné behelfen. Damit ruiniert er Fortunés Leben, denn nur der kann die wahr gewordene Romanfigur sehen und hören, und bald halten ihn alle für wahnsinnig, einschließlich Fortuné selbst. „Der Rabe“ überredet Fortuné, zusammen auf die Suche nach Saint-Illiède gehen, ein Unternehmen, das sich schnell als lebensgefährlich erweist.
Der französische Zeichner Fabrice Lebeault lässt seinen Mystery-Thriller zur Zeit der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jh. spielen. In den monatlichen Fortsetzungs-Heftromanen jener Zeit waren geheimnisvolle Verbrecher wie Raffles, Arsène Lupin oder Fantômas in Mode, an welche die Figur des „Raben“ eine deutliche Hommage ist: Er ähnelt am ehesten Arsène Lupin, wäre aber gerne so grausam wie Fantômas. Seine Angst, in Wahrheit der Journalist Fandorille zu sein, spielt auf die bekannten Fantômas-Verfilmungen der 60er Jahre an, in denen Fantômas und der dort vorkommende Journalist „Fandor“ vom selben Schauspieler dargestellt werden – allerdings ohne miteinander identisch zu sein.
Die Zeichnungen sind sehr gekonnt, sicher und klar, die Kolorierung ansprechend und mit Tiefe ausgestattet, die Geschichte spannend und bis auf Kleinigkeiten schlüssig. Nur die einzige weibliche Figur bleibt genauso blass wie sie koloriert ist.
„Mit fremder Feder“ ist der erste Band aus der neuen Finix-Serie „Edition Solaire“. In dieser Edition führt Finix erstmals nicht bei anderen Verlagen abgebrochene Serien fort, sondern veröffentlicht Einzelbände aus dem frankobelgischen Bereich, die, wenn das Überformat nicht wäre, wahrscheinlich einen Graphic-Novel-Aufkleber bekämen. „Mit fremder Feder“ ist da ein guter Griff, und die sorgfältige und aufwendige Aufmachung des Albums zeigt deutlich, dass hier echte Comic-Liebhaber am Werk sind.
Als Bonus enthält der Band noch den ersten Entwurf der Geschichte, die der Autor in Prosa geschrieben und mit Aquarellen illustriert hat, und als kleines Kuriosum am Rande das wahrscheinlich unnötigste Inhaltsverzeichnis, das je gedruckt wurde.
Übrigens: Zum Glück hat sich der "Rabe" bei mir, der ich ja auch Rezensent bin, noch nicht persönlich vorgestellt. Wahrscheinlich sind zwei Metaebenen auf einmal dann doch nicht so leicht zu überwinden.
Mit fremder Feder (Edition Solitaire: HC1)
von Fabrice Lebeault,
80 Seiten im Überformat
Finix Comics, 17,80 Euro
Den Comic sollte man HIER DIREKT bei Finix bestellen.
Mit fremder Feder kann man aber auch hier kaufen
LESEPROBE zu Mit fremder Feder
(c) der Abb.: Lebeault und Finix
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