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geschrieben von Martaeng am
Montag, 17. September 2007
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Herr Azuma ist dann mal weg
Lass mich noch eben Zigaretten holen gehen - sagte sich der namenlose Held in Udo Jürgens altschlagerschönem Evergreen „Ich war noch niemals in New York“ und träumte sich weg von bohnergewachstem, nach Spießigkeit riechendem Treppenhaus. Ach ja, der Traum des kleinen Mannes, dem Alltag zu entfliehen, nur um an Ende resigniert zurückzukehren. Der Mangaka Hideo Azuma hat sich diesen Traum erfüllt, verlässt eines Tages seine Familie und fristet fortan als Obdachloser sein Dasein, verdingt sich als Handwerker, verfällt dem Suff und landet in der Psychiatrie. Schließlich kehrt er zurück an Heim und Herd und...macht einen Manga draus: Der Ausreißer
Und in diesem Manga erklärt uns Azuma die Details des Lebens als Clochard. Was nach Freiheit und Abenteuer klingt, entpuppt sich sehr schnell als Verwaltung der puren Langeweile. Waren die 24 Stunden des Tages im Berufsleben deutlich zu wenig, so heißt es nun, den nicht enden wollenden Tag mit Sinn (und Sake) zu füllen. So schleicht sich Herr Azuma durch die Straßen, immer auf der Suche nach Essen, Sake und Kleingeld (um Sake zu kaufen). Ganz nebenbei erfährt der unbeflissene in Sachen Japan, dass Sake auch in Getränkeautomaten erhältlich ist, welche Lebensmittel sogar aus der Mülltonne genießbar sind und wie kalt es im Winter auf den Straßen und in den Parks ist (sehr: Da hilft nur Sake).
Irgendwann wird es dem werten Herrn auf der Straße zu langweilig, außerdem fehlt es an barer Münze. Also beschließt er – nein, nicht zurück zur Familie zu gehen, sondern einen handwerklichen Beruf als Bauarbeiter aufzunehmen. Jetzt wird es etwas wirr: Zwischendurch zeichnet er wieder, kehrt auf die Straße zurück und landet schließlich in einer Entzugsklinik (wo ihn seine Frau und sein Sohn hineinbugsiert haben).
Das eigene Leben als Manga umzusetzen, zumal der beschriebene Abschnitt wenig ehrenhaft ist, bedarf einer gehörigen Portion Mut. Mit Der Ausreißer ist Hideo Azuma eine sehr ironische Autobiographie gelungen. Die berechtigte Frage nach der Moral, wenn man seine Familie einfach so verlässt, wird allerdings nicht thematisiert. Azuma sagt selbst: „Dieser Manga ist vom Stil her funny, denn zuviel Realismus hält der Mensch nicht aus.“ Selbstkritische Töne sind allenfalls im angefügten Interview zu erkennen. Wie auch immer – Der Ausreißer ist streckenweise witzig, zu oft aber sehr monoton geraten. Herausragend sind jene Abschnitte, die in der Entzugsklinik spielen. Überhaupt ist die Beschreibung der Alkoholabhängigkeit (vom morgendlichen Kater, bis zu obskuren Wahnvorstellungen) humoristisch, lehrreich und abschreckend zugleich. Das Leben der Herrn Azuma sollte nicht als Vorbild dienen, ist wohl die Quintessenz. Also: Finger weg vom Sake!
Der Ausreißer
Zeichnungen und Text: Hideo Azuma
Taschenbuch (broschiert), 192 Seiten, s/w
Schreiber und Leser, 14,95 €
Der Ausreißer kannst Du hier gerne kaufen.
© Abbildungen: Schreiber und Leser
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