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geschrieben von Martaeng am
Freitag, 20. Juli 2007
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Die Stadt ruft
Jiro Taniguchi hat ohne Frage einen Faible für Menschen in Extremsituationen, wie er den deutschen Lesern bereits in Der Wanderer im Eis unter Beweis gestellt hat. Die Stadt und das Mädchen ist ein paar Jahre älter und jetzt auch in deutscher Übersetzung erhältlich. Bergsteiger Shiga ist ebenfalls ein Mann für die Extreme. Er lebt in einer abgeschiedenen Hütte, irgendwo in den Bergen. Dort hat er Ruhe, Muße und viel Natur. Klingt alles wenig abenteuerlich und extrem? So bleibt es aber nicht. Denn er wird in eine völlig andere Extremsituation gestellt: Er muss in die Stadt (Tokio natürlich) und das Mädchen suchen.
Welches Mädchen? Megumi. Sie ist die Tochter seines ehemals besten Freundes, der bei einem Bergunglück verstarb. Und Megumi ist verschwunden, einfach so. Shiga soll sie im Auftrag von Megumis Mutter suchen.
Das ist nun wahrlich eine ungewöhnliche Aufgabe für einen Bergsteiger. Nicht immer höher hinaus, bis auf den Gipfel, sondern abwärts ist Marschroute. Herunter vom Berg, hinein in das Dickicht Tokios und noch tiefer in den Vergnügungsbezirk Shibuya. Denn dort wurde Megumi zuletzt gesichtet. Die Suche beginnt. Und sie gestaltet sich angesichts des rund 300 Seiten fassenden Mangas als extrem schwierig. Schwierig, weil Tokio doch ein bisschen komplexer und undurchschaubarer ist, als die gewohnten Berge. Schwierig auch, weil Megumi eben doch nicht einfach so verschwunden ist. Es steckt mehr dahinter, in vielerlei Hinsicht. Es ist nicht nur die Suche nach einem verschwundenen Mädchen. Für Shiga ist es auch die Suche nach sich selbst. Wird er es schaffen oder erlebt er sein persönliches Waterloo?
Und wieder mal ist es die Großstadt, die den Handlungsrahmen für eine Story vorgibt. Es ist der Moloch der Moderne, ein Menschenverschlinger. Es ist das Thema überhaupt, unzählige Male variiert. Die Stadt und das Mädchen bildet da keine Ausnahme. Aber es ist eine gute, ja großartige Variation. Es ist gar nicht so sehr entscheidend, was erzählt wird, sondern wie es erzählt wird. Beeinflusst durch den frankobelgischen Comic, gelingt Juri Taniguchi eine Darstellung von Tokio, die ihresgleichen sucht. Die Linienführung ist einfach und klar, eben dadurch ist sie realistisch. Die Szenerie von Häuserschluchten und Hinterhöfen, der Gegensatz von Bergwelt und Stadtwelt, die Ratlosigkeit und Verzweiflung, aber auch die Kälte und Brutalität der Charaktere: Wirklich alles ist bis ins letzte Detail stimmig.
Da stört es auch nicht weiter, dass das Ende ein wenig an den Karabinerhaken herbeigezogen zu sein scheint. Selbst dieser finale Showdown, so übertrieben er wirkt, kann gar nicht anders sein. Nur so stimmt das Gesamtbild und macht die Geschichte komplett. Spannend ist sie allemal. Mehr davon.
Titel: Die Stadt und das Mädchen
Zeichnungen und Text: Jiro Taniguchi
Paperback, 336 Seiten, s/w
Schreiber und Leser, 16,95 €
ISBN: 978-3-937102-65-8
© Abbildungen: Schreiber und Leser
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