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geschrieben von M.Behringer am
Donnerstag, 14. April 2022
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Die Geschichte eines Verdingkindes, basierend auf den Erinnerungen meines Vaters
Kinderarbeit ist heute nur noch ein Thema in den Entwicklungsländern. Früher gab es Kinderarbeit aber auch ganz selbstverständlich in Europa. Als „Verdingbub“ beispielsweise war es ganz normal als Kind auf dem Bauernhof zu arbeiten – und das musste noch nicht einmal der Hof der eigenen Familie gewesen sein. Das hat Lika Nüssli durch ihren Vater Ernst erfahren, den sie nach seinem harten Alltag in der Kindheit befragt hat. Als gelernter Volkskundler/Europäischer Ethnologe hat mich die Biografie „Starkes Ding“ besonders interessiert, denn gerade solche Erfahrungsberichte von Betroffenen und Zeitzeugen sind gängige Quellen für die Volkskunde/Europäische Ethnologie. Aber natürlich war ich auch als „normaler“ Comicleser gespannt, wie Nüssli die Berichte ihres Vaters umsetzt.
Zunächst folgen wir Ernst im Umfeld seiner Familie und später dann am fremden Hof und an der Schule. Er ist eines von vielen Kindern einer Schweizer Bauernfamilie und alle Kinder sind von klein auf bei der oft harten Arbeit auf dem Feld oder in den Ställen eingebunden. Freizeit für Spiele gibt es nicht, das Spiel wird vielmehr in Form von Wettkämpfen in den Arbeitsalltag eingebunden.
Viel Freude hat Ernst auch mit den zahlreichen Tieren, um die er sich kümmert. In der Schule ist er dann oft sehr müde, um dem Stoff zu folgen oder er hat kaum Zeit, um mit den Klassenkameraden zu spielen, weil er nebenher noch auf dem fremden Hof arbeitet, nachdem ihn seine Eltern als Arbeitskraft „verkauft“ haben. Er pendelt zwischen Familie und Hof und Schule hin und her.
Nüssli erzählt anfangs sehr sprunghaft und ohne feste Story die Erinnerungen ihres Vaters mittels viel Erzähltext und oft ganzseitigen Illustrationen. Später wird es dann zwischenzeitlich zusammenhängender und dann aber auch wieder metaphernhaft. Panels und Sequenzen fehlen meist ganz. Manchmal ergeben zwei, drei Illustrationen eine Art Sequenz.
Mittendrin baut sie für einen Moment sich selbst als Interviewerin ein, wie sie ihren Vater in der Gegenwart zu seiner Zeit als Verdingbub befragt. Dadurch schafft sie nach dem Vorbild von Art Spiegelmans „Maus“ ansatzweise eine Multiperspektive, allerdings hätte sie das öfter machen müssen, um nachdrücklich eine weitere Dimension zu erschaffen.
Die Illustrationen sind schwarzweiß und in Anklang an die Senntumsmalerei in einem karikativen und krakeligen Strich gehalten. Dadurch erhält man zwar keine authentische Abbildung der historischen Alltagswelt, aber umso mehr eine emotionale Unmittelbarkeit, die die Gefühlswelt ihres Vaters besser darstellen kann als jede realistische Fotografie.
Die Lebensrealität wird nichtsdestotrotz vorstellbar, auch ohne detaillierte Darstellungen, da wichtige Gegenstände und Arbeiten durchaus abgebildet werden. Die metaphorischen Szenen schlagen dann im letzten Drittel noch einmal einen neuen Weg ein und unterstreichen noch mehr die Gefühlswelt Ernsts.
„Starkes Ding“ ist inhaltlich, sprachlich, grafisch und formell nicht leicht zugänglich, aber lässt man sich darauf ein, erfährt und erlebt man eine vergessene und hoch interessante Lebenswelt.
(c)opyright der Abbildungen mit freundlicher Genehmigung: Lika Nüssli / Edition Moderne 2022
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