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geschrieben von Micha am
Mittwoch, 13. November 2013
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Voll verpeilt
Gabrielle ist Comiczeichnerin und ein kleiner Star in der US-amerikanischen Independent-Comic-Szene. Das Künstlerleben, das sie führt, ist allerdings kein Zuckerschlecken, sondern in erster Linie von Unsicherheit geprägt, in künstlerischer, finanzieller und persönlicher Hinsicht. Auf Comic-Messen wird sie inzwischen umschwärmt, und dennoch grübelt sie: „Ich habe mein Leben lang versucht, eine Comiczeichnerin zu sein, und was habe ich vorzuweisen? Einen Wikipediaeintrag und eine Entwicklungsstörung.“ Bell zeichnet ihren Alltag autobiographisch nach. In den verschiedenen Episoden schildert sie sich selbst als emotional instabil und von daher schwierig. Mit dem renommierten Regisseur Michel Gondry, der eine ihrer Geschichten verfilmt, beginnt sie eine Beziehung, doch der gesteht ihr: „Ich glaube, wenn du nicht so talentiert wärst, könnte ich dich nicht ertragen.“ Da sie aber nicht wirklich jemandem etwas Böses will (dies zumindest so darstellt), sondern einfach nur völlig verpeilt ist, bleibt die Figur dem Leser sympathisch.
„Die Voyeure“ ist ein ausgewählter Auszug aus Gabrielle Bells Comic-Tagebuch und durchaus keine Graphic Novel, auch wenn die Marketing-Abteilung uns das mit der Einteilung in Kapitel weismachen will. Es gibt keine Handlung, nur das, was sie so erlebt. Das spinnt sie manchmal aber auch ein bisschen weiter und ironisiert es. Dennoch ist dieser Band sehr lesenswert, weil das Psychogramm dieser Lebenswelt jenseits von festem Job mit Rentenansprüchen und schönem Schein der Unterhaltungsindustrie schon ein interessantes Bild ergibt, das man sonst nie sieht. Manches Erlebte ist banal, doch fügt es sich in ein stimmiges Gesamtes.
Bells Zeichnungen wirken wenig virtuos, sind aber durchaus klar im Bildaufbau und haben einen erkennbaren eigenen Stil. Nur die Farbgebung ist meist ein bisschen flach. Auch inhaltlich und von der Erzählweise her ist „Die Voyeure“ etwas sehr Ungewöhnliches. Der Titel bezieht sich vordergründig auf die erste Episode, in der eine Gruppe von Leuten vom Dach aus ein Paar im Nachbarhaus beim Liebesspiel beobachtet. Man könnte aber auch sagen, dass die Leser die Voyeure sind, die Gabrielle Bells Leben fortwährend zuschauen.
Beim Betrachten der Bilder werde ich den Eindruck nicht los, dass Gabrielle Bell zuhause nur einen sehr schlechten Scanner hat, denn die schwarzen Linien wirken seltsam zerlaufen, ein bisschen als ob die Bildauflösung zu gering wäre. Wie man an den seither entstandenen Comics auf ihrer Website sieht, ist das kein spezielles Problem dieses Drucks, sondern ein generelles. Dagegen ist die längere Sequenz, die in Japan und Frankreich spielt, von der Bildqualität her wesentlich klarer, was die Zeichnungen deutlich eleganter wirken lässt. Hat Bell die unterwegs eingescannt oder andere Zeichenmaterialien und weniger durstiges Papier verwendet? Wenn der komplette Comic in dieser Qualität wäre, würde er wesentlich professioneller (im guten Sinn) wirken. Gerade die Augen hätten wesentlich mehr Ausdruck, denn die verschwimmen in den US-Sequenzen oft zu einem schwarzen Klecks. Ein kleiner Minuspunkt.
Die Voyeure
Von Gabrielle Bell,
160 Seiten,
Metrolit, 22,99 Euro
Am Besten kauft man sich das Comic beim Comichändler seines Vertrauens
...jedoch...
Die Voyeure kann man auch hier kaufen
(c) der Abbildungen mit freundlicher Genehmigung: Metrolit Verlag und Autoren
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