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geschrieben von Micha am
Montag, 20. April 2009
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Der nicht ganz normale Wahnsinn
Dass die mit ihren Wachtturm-Heften herumstehenden Zeugen Jehovas in Wahrheit die Erfüllungsgehilfen von lebendig gewordenen Wahnvorstellungen sind, die ihre Wirtshirne verlassen haben und die Weltherrschaft anstreben, haben wir alle eher gewusst als geahnt. Uli Oesterles in der Münchner Szene angesiedelte Mystery-Thriller „Hector Umbra“ liefert uns nun die Hintergründe.
Der bullige Kunstmaler Hector Umbra bekommt es auf der Suche nach seinem verschwunden Freund DJ Osaka mit dem Leiter einer Gruppierung unsichtbarer extrazerebraler Wahnvorstellungen namens „Neurologische Infiltrationsfront, Fraktion Südbayern“ zu tun. Da Umbra als einziger die frei herumlaufenden Wahnvorstellungen sehen kann, ist es an ihm zu verhindern, dass die Neurologische Infiltrationsfront mittels einer “Ode an den halbautomatischen Wahnsinn“, die Osaka komponieren soll, die Menschheit versklaven kann.
Fünf Jahre nachdem der erste Teil von „Hector Umbra“ als großformatiges Album bei der Edition 52 erschienen war, kommt die Gesamtausgabe im gerade angesagten kleineren Graphic-Novel-Format daher, mit dem die Comicverlage zurzeit größere Akzeptanz bei „normalen“ Lesern zu erzeugen suchen. Wenn dadurch höherer Absatz und breitere Wirkung erzeugt wird, gut. Der Comic im Allgemeinen und dieser Comic im Besonderen hat es verdient. Allerdings wurde die Lettering-Schriftgröße von „Hector Umbra“ nicht oder kaum verkleinert, was mitunter Textkürzungen erforderlich machte. Verglichen mit den „vollständigen“ Texten der Erstausgabe geschieht dies zumindest subjektiv meist zum Nachteil.
Außerdem hätte ich mir gerade beim „Showdown“ zwischen Hector und den Wahnvorstellungen in der Münchener Frauenkirche das Großformat der Edition-52-Ausgabe gewünscht, und auch dessen knalligere Farben. Denn die Carlsen-Ausgabe wurde auf Oesterles ausdrücklichen Wunsch auf rauherem Papier gedruckt, was die Farben dämpft und insgesamt dunkler macht.
All das tut der immer stimmigen, teilweise augenzwinkernden und hervorragend in Szene gesetzten Story keinen Abbruch. Manche Figuren, die anfangs nur Kolorit zu sein scheinen, erweisen sich später als wichtige Elemente der Handlung. Auch rein zeichnerisch überzeugt Oesterle mit einem ganz eigenen Stil, den er sicher beherrscht. Diese Qualität in Text und Bild hat sich bereits mit drei Übersetzungen (französisch, holländisch, polnisch) bezahlt gemacht. Das Seitenlayout ist abwechslungsreich und stets passend. Auch die Struktur der Erzählung – 3 Kapitel sowie Pro- und Epilog – wird im Buch sorgfältig optisch gestaltet.
Der Autor selbst zeigt sich übrigens mit Format und Druck sehr zufrieden. Für mich ist es ein kleines Déjà-vu-Erlebnis. Als „Held“ von Flix damals als Gesamtausgabe bei Carlsen herauskam, erschien diese im Vergleich zur Heftausgabe bei Zwerchfell – die wie bei „Hector Umbra“ nicht über den ersten Band hinauskam – in kleinerem Format und auf vom Zeichner ausgesuchten rauherem Papier gedruckt. Damals war der Grund der Verkleinerung die Anpassung des Formats an in deutschen Buchhandlungen vorherrschende Standard-Regalgrößen, mithin wie bei „Hector Umbra“ ein Versuch, die Buchhandlungen besser zu durchdringen. Vielleicht sollte Carlsen mal darüber nachdenken, zukünftige Auflagen von Flix' Comic-Romanen im Graphic-Novel-Format herauszubringen, das deutlich näher am Originalformat ist als die bisherigen Ausgaben...
Bis dahin bitte alle „Hector Umbra“ kaufen, damit uns Uli Oesterle mit weiteren Werken beglückt.
Hector Umbra
von Uli Oesterle,
216 Seiten, Hardcover
Carlsen Verlag, 24,90 Euro
Hector Umbra kann man auch gerne hier bei Amazon bestellen
Für mehr Information zum Buch gibts ein grosses Online-Special auf der Carlsen-Website
Hier noch der Direktlink zum Interview mit Uli Oesterle und Klaus Schikowski
Hier ein kleiner Vergleich zwischen Carlsen (oben) und Edition 52 (unten)
(c) der Abb.: Oesterle und Carlsen
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