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Jiro Taniguchi: Die Sicht der Dinge

Rezensionen / Biographisch
geschrieben von Peixe am 08.12.2008, 00:00 Uhr

Achtung! Themen für Erwachsene!


Jiro Taniguchi: Die Sicht der Dinge [1] Jiro Taniguchis „Die Sicht der Dinge“ ist ein ruhiger, nachdenklicher Manga. Ganz ohne Zweifel nur für Erwachsene gezeichnet und von einer liebevollen Zuneigung zur Familie und zum Ländlichen durchdrungen.

Yoichi, der aus Groll seinen Vater 15 Jahre nicht mehr besucht hat, findet sich widerwillig bei der familiären Totenwache für seinen Vater ein. In den folgenden Gesprächen im engsten Verwandtenkreis wird manches aus der Vergangenheit aufgerollt, was neue und vergessene Facetten der Persönlichkeit des verstorbenen Vaters aufdecken.
Jiro Taniguchi: Die Sicht der Dinge
Langsam bringen sie Yoichis Bild von ihm ins Wanken. Innerhalb der dichter werdenden Familiengeschichten spielen zahlreiche Lebensthemen hinein, mit denen Erwachsenenthemen nun endgültig im Comic angekommen sind:

    - Stolz gegenüber der angeheirateten, reicheren Verwandtschaft;
    - die vernachlässigte Entwicklung zum eigenen Sohn, wenn man als Vater alle - Energie in die Arbeit steckt, um die Familie zu versorgen;
    - die Gründe, wie sich ein Paar durch widrige Umstände und ihren Umgang damit langsam, aus Versehen, ganz ohne bösen Willen auseinanderleben;
    - das Vater-Sohn-Verhältnis
    - und schließlich die sehr harmonisch gezeichneten Verhältnisse in der Familie und auf dem Land als Gegensatz zum isolierten, anonymen Karrierestreben in der hässlichen, großen Stadt (hier ist Taniguchi etwas unfair gegenüber Großstädten).

Keines dieser Themen behandelt Taniguchi abschließend und multiperspektivisch, aber zu allen gibt er Denkanstöße und wirbt für seine Sicht der Dinge und begründet sie mit bewegenden Momenten.

Zeichnerisch ansprechend und die nachdenkliche Stimmung unterstreichend ist die mir sehr angenehme ausführliche und getragene Erzählweise. Lediglich die expliziten Erklärungen und moralischen Erkenntnisse, die sich immer wieder in einem Panel finden, beleidigen mich als Leser. Die Botschaft hätte ich auch so begriffen.
Jiro Taniguchi: Die Sicht der Dinge
Erzählerisch ungewöhnlich, aber der nachdenklich stimmenden Erzählung völlig angemessen ist Taniguchis Technik, das Ergebnis der beginnenden Passage im Ergebnis vorweg zu nehmen, bevor er den Weg dorthin beschreibt. Durch diese ungewöhnliche Technik verlagert Taniguchi die Aufmerksamkeit des Lesenden weg vom Fortgang der Geschichte hin zu den Umständen und Beweggründen, die zum vorhergesagten Ergebnis geführt haben. Gleichwohl nimmt er nie die ganze innere Entwicklung der Hauptperson vorweg und bietet eine Reihe von Enthüllungen auf, die sich nach und nach zu einem Ganzen zusammenfügen.

Ein Schmankerl sei als Querverweis für Sinnsucher gegeben: Yoichi und seine Frau finden sich im Buch „Träume von Glück“ wieder. Obwohl „Träume von Glück“ zeitlich zwei Jahre früher gezeichnet wurde, spielt die Geschichte weit nach dem Tod des Vaters. Der Hund Tamu taucht in „Die Sicht der Dinge“ nur am Rande und eigentlich ohne Sinn für die Story auf, schlägt aber die Brücke zur Erzählung „Einen Hund besitzen“ in „Träume von Glück“, dessen Ehepaar namenlos bleibt. Die dort detailreich geschilderte, aufopfernde Sterbebegleitung des Hundes auf einem Niveau, von dem manche Menschen nur träumen können, ist in gewisser Weise die Umsetzung einer Quintessenz der Gespräche am Totenbett von Yoichis Vater und das Gegenbild zur Vernachlässigung seines Vaters im Leben und im Sterben.
Jiro Taniguchi: Die Sicht der Dinge
Jiro Taniguchi ist ein renommierter und in Japan und Frankreich bekannter Mangaka, im Geschäft seit 1972, seit 1974 preisgekrönt. „Die Sicht der Dinge“ ist der 2. Band in der Carlsen Edition zu Jiro Taniguchi, gleichwohl von 1994 im Original. Die erste Graphic Novel bei Carlsen Vertraute Fremde (1998 gezeichnet, 2007 auf Deutsch erschienen) ist 2008 denn auch zum besten Comic des Jahres gekürt worden; weitere Comics von Jiro sind bei Leser & Schreiber erschienen, zum Beispiel „Die Stadt und das Mädchen“.

Die Sicht der Dinge
Zeichnungen/Text: Jiro Taniguchi
284 Seiten, Broschur
Carlsen Verlag, Hamburg, 14 Euro



Jiro Taniguchi: Die Sicht der Dinge kannst Du gerne hier [2] kaufen.


Mehr von Jiro Taniguchi:

Gipfel der Götter 1 [3]

Vertraute Fremde [4]

Die Stadt und das Mädchen [5]

Der Wanderer im Eis [6]


(c) der Abb.: Jiro Taniguchi und Carlsen Verlag



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