Comic Radio Show

Interview mit Gerhard Seyfried

Interviews / Deutsch
geschrieben von Maqz am 23.08.1998, 16:46 Uhr

Der Seyfried 1998


Von G. Seyfried für die CRS [1]
CRS: Ich hab mit Freuden gesehen, dass Du endlich wieder einen Comic gemacht hast. Aber Du hast auch vorher schon Comics gemacht, mit Ziska zusammen. Was waren das für Comics?

Gerhard Seyfried: Mit Ziska zusammen hab ick "Future Subjunkies" und "Space Bastards" gemacht, die bei Rotbuch raus kamen und dann hat jeder seinen eigenen Band gemacht und jetzt arbeiten wir zusammen an einem neuen Band, der wahrscheinlich im Frühjahr raus kommt.
CRS: Aber vor dieser Arbeit hast Du doch eine große Pause gemacht, oder arbeitest Du kontinuierlich durch?
GS: Es ging immer kontinuierlich durch. Ich hab alle zwei Jahre spätestens wat jemacht. Das waren mal drei oder vier und einmal nur eins.
CRS: Ich habe Dich eigentlich zum ersten mal bewußt gesehen, als ich in meiner Schülerzeitungszeit layoutet habe. Ich vermute mal, dass Deine Zeichnungen für die meisten Schülerzeitungen in der Republik verwendet wurden. Bedeutet das etwas für Dich, dass Du wohl der meistkopierte Schülerzeitungslayout-Zeichner Deutschlands bist?
GS: Ick weiß nicht ob das heute noch so ist. Aber damals... Ja gut, das hat mich auf jeden Fall bekannt gemacht ... nehm ich an. Also das ist ja ne großartige Verbreitung gewesen dann. Das hat keen Geld gebracht natürlich, weil das natürlich alles Leute waren, die keen Geld hatten, so wie wir ooch. Also war das o.k.
CRS: Aus der damaligen Zeit sind mir vor allem die ganzen MVV-Schwarzfahrer-Geschichten in Erinnerung geblieben und die vielen Rotbuch-Sachen, die erschienen sind. Wie war das finanziell bei Dir, weil wir gerade vom Geld reden: hat das Dich reich gemacht? Oder warst Du die meiste Zeit Illustrator und das war eigentlich nur eine Bewerbungsmappe, die halt als Comic herausgekommen ist?
GS: Nee! Reich hat es mich nie jemacht. Also ick kann o.k. davon leben, so würd ick das mal ausdrücken. He, He... Is nix drin mit Reichtum oder Auto oder Haus oder sowas.
CRS: Aber du kannst davon leben und machst nichts anderes.
GS: Ja, Ja ich bin hauptberuflich Comiczeichner! Natürlich, ja!
CRS: Und was sagen Leute, die Dich kennenlernen und deinen Namen noch nicht kennen?
GS: Ick steh ja nicht auf der Straße rum und sag : "Ey, ick bin Comiczeichner" und lern so Leute kennen. Das is ein Erlebnis, das kenn ick gar nicht. Meine Freunde wissen, dass ick das bin. Ick wees es inzwischen ooch! Ick wie? Erst seit zehn Jahren, dass das mein Beruf ist, obwohl ick es seit dreissig Jahren mache! Aber ick hab eigentlich nie drüber nachgedacht.
G. Seyfried
CRS: Warum?
GS: Na ja, ick hab einfach so gezeichnet und mir dann alle Möglichkeiten offen gelassen. Und dann hab ich mir gedacht: "Jetzt lebste schon zwanzig Jahre davon. Das scheint dein Beruf zu sein!" (lacht)
CRS: Du warst in München und jetzt in Berlin, ist das richtig?
GS: Ja, ich bin in München geboren und lebe jetzt in Berlin, seit 76.
CRS: Wo siehst Du den Unterschied zwischen den beiden Städten? War München damals so konservativ und Berlin diese Spontistadt, so wie Du sie gezeichnet hast?
GS: Völlig daneben! Alles purer Zufall. Ick bin aus Zufall nach Berlin gezogen, weil in München mußt' ich aus dem Zimmer raus und in Berlin bei einem Bekannten war gerade eins frei; so kam ick nach Berlin. Alles völliger Zufall!
CRS: ...und die Inspiration? Sind Dir die Städte eigentlich egal gewesen und alles hat sich in Deinem Kopf abgespielt?
GS: Ja, Inspiration ... auch ein Wort mit dem ich selten Tennis spiele. Inspiration... Gut das war was anderes. München kannt' ick dann. Das war o.k. Und dann war's erste Mal 'ne neue Stadt und dann hat ick schon ein Wow-Erlebnis gehabt in Berlin. Ist ja schon großstadtmäßiger angelegt, so kaputt et ooch is.
CRS: Und hattest Du damals als Bayer Schwierigkeiten in Berlin?
GS: Ach wo, ach wo. Es gibt gar keene Berliner in Berlin. Das macht es einfach! Die meisten sind Schwaben. (lacht) Schwaben, Japaner, Sachsen.
CRS: Du hast ja jetzt etwas resümiert in "Trau keinem
über 30!" (bei Carlsen [2]
erschienen)
Cover: Trau Keinem...

GS: Ja richtig!
CRS: Ich hatte immer den Eindruck, das war ein bitterer ironischer kleiner Rückblick auf die 68er Bewegung und hatte das Gefühl, dass alle Beteiligten etwas enttäuscht sind und nicht mehr dazu stehen, was sie damals gemacht haben oder fanden es eher lustig oder lächerlich, was sie damals gedacht oder gemacht haben. Siehst Du das auch so?
GS: Nö, das war einfach so und das wars!
CRS: Das wars einfach so und das wars!
GS: Ja, es war o.k. Ick weiß net ... Ick weiß, dass es immer heißt, die Leute betrachten Vergangenes mit Bitterkeit und so. Das tun alle Generationen irgendwie! Die Zeit entschwindet, in der man jung und hübsch war! Aber ick hab keine Probleme mit damals. Ick bin froh, dass ich alles mit heiler Haut überstanden habe und spannend wars und dufte!
CRS: Wie siehst Du selber das Album mit den verschiedenen Zeichnern?
GS: Toll, find ich echt gut!
CRS: Welche Geschichte fandest Du am besten?
GS: Oh, das is schwer, jetzt sich da einen herauszupicken. Hansi Kiefersauer gefiel mir sehr gut, weil ick nen bayrischen Draht zu ihm hab. Das gefiel mir sehr gut. Vor allem wegen der Musik auch! Aber es sind zuviele um da jetzt irgendwie ... Aber ich finds ein gelungenes Buch!
CRS: Meinst Du, dass das jetzt eine einmalige Sache war oder bist Du der Meinung, dass da jetzt noch mehr gemacht werden sollte. Revival der 68er?
GS: Ach, das wird jetzt eh durchgenudelt und durchgeknutscht bis nix mehr rauskommt. Was solls. Das ist eben ein Beitrag dazu und ick glaube, ick habs ganz gut ausgedrückt, wie ick es sehe!
CRS: Und wie siehst Du dein neues Album? Wird das mit Ziska in derselben Richtung fortgesetzt, wie ihr es schon gemacht habt, oder völlig anders?
GS: Nee, was jetzt passiert, ist dass ick mit Ziska auf einen Kurs einschwenke, der besteht zur Hälfte aus dem klassischen Seyfried, wird aber irgendwie verschmolzen mit "Space Bastard"-Sachen. Das ist jetzt schwer zu erklären. Da muß man wirklich warten, bis das rauskommt. Aber ich glaub es wird toll und das beste, was wir je gemacht haben!
CRS: Ja das ist ja schon mal zuversichtlich!
GS: Ja, ja, es ist ja auch ein dickes Buch mit 63 Seiten. Das wissen wir alles schon, nur wie es heißt wissen wir noch nicht. Dazu ist es noch ein bissel zu früh.
Hey! Wir sind noch nicht fertig!
Was hält Seyfried von der Heftchenwelle? Seyfried in die Politik? Wann war die Polizei das letzte Mal bei ihm im Haus und wieso?
Weiter geht's im zweiten Teil des Interviews! [3]

G. Seyfried
CRS: Wie ist es eigentlich bei Dir mit dem Stil. Läßt Du Dich von anderen Zeichnern beeinflussen?
GS: Es ist mehr oder weniger eine Altersfrage. Als junger Zeichner war ich natürlich ... was heißt beeinflußt, man orientiert sich an Vorbildern. Das muß man, das geht gar nicht anders. So: "Au, der zeichnet toll. Das will ick ooch", und so. Und dann studiert man bei dem. Man schaut sich die Sachen an und lernt und lernt. Und hat zwangsläufig Ähnlichkeiten. Das ist völlig normal und das ist in jedem Beruf so, der noch auf die alte Art funktioniert und nicht über den Computer läuft.
CRS: Waren das bei Dir die Vorbilder Sheldon, Crumb...?
GS: Sheldon war eins meiner wichtigen Vorbilder! Crumb auf jeden Fall, aber auch Wilhelm Busch und Donald Duck, soweit es von Carl Barks ist. Und ziemlich viele andere. Aber dies sind so die Hauptdinger, die mich beeinflußt haben und ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl, weil wir in Deutschland sowat nich ham. Das ist dann noch so ein Motiv, das mich dazu gebracht hat so was zu versuchen.
CRS: Bist Du stolz auf das was du bisher geleistet hast?
GS: UUUH, das is auch wieder sowas, worüber ich nicht nachgedacht habe. Ick bin zufrieden. Stolz entdeck ick bei mir nicht, aber ich bin zufrieden. Aber man lernt nie aus und man wird nie gut genug und ick will immer besser werden. Das is ein Trieb, den ick stark in mir hab.
CRS: Kann man bei Dir sagen: "Alte Schule"?
GS: Erste und alte Schule kann man bei mir wahrscheinlich sagen! (Lacht)
CRS: Was hältst Du von den neuen Comics, Stichwort: Heftchenwelle?
GS: Ick kriege nix mit! Also ick kriege mit, dass das Comicgeschäft nicht mehr so dufte läuft und so 'ne Sachen. Aber ick hab bisher keine Zeit gehabt. Ich komm direkt aus der Arbeit und bin in Signiertermine und hatte noch keinen Moment Zeit mich einmal mit Kollegen zu unterhalten.
CRS: Aber das mit den Superhelden interessiert Dich auch so direkt nicht?
GS: Nein, es ist nicht mein Ding, nee. Aber es interessiert mich natürlich, wie es dem Comic in Deutschland geht. Und wie das weitergehen soll und wie man aus der derzeitigen Misere raus kommt, die scheinbar da ist. (...) Ick bin sehr im Zweifel, ob das was wird mit den Heftchen. Aber, wie gesagt, ick bin nicht gut informiert, ich muß mich erst informieren. Aber ick nehme an, damit kann man böse auf den Bauch fallen. Und das Hauptding ist: Wovon sollen die Zeichner leben, ne? Wenn so ein Album nicht mehr genug verkauft wird, dass ein Zeichner von der Arbeit leben kann oder anständig bezahlt wird, dann muß ne Lösung her! Aber wie gesagt: ich bin zu frisch und uninformiert, um da mehr sagen zu können.
CRS: Hast Du dir eigentlich in all der Zeit, in der Du gezeichnet hast je gedacht: Hey! Eigentlich will ich noch in meinem Leben...
GS: ...Lastwagenfahren in Australien.
CRS: Das wär's gewesen?
GS: Ja, durchaus. Ich wollt, ick wäre bei der Bundeswehr geblieben. Dann wär ich jetzt Oberst und hätte ein Eigenheim.
CRS: Das ist doch jetzt nicht Dein Ernst?
GS: Ich hätte ne Altersversorgung. Das hab ich zum Beispiel nicht. Das hab ich nie erreicht.
CRS: Der Preis der Freiheit?
GS: Ja, kann man sagen! Vor allem jetzt im totalen Kapitalismus. (Lachen)G. Seyfried
CRS: Stichwort Politik: Deine Sachen sind ja alle sehr sponti und anarchistisch gewesen. Wird man mit dem Alter etwas ruhiger, auch als Gerhard Seyfried?
GS: Natürlich wird man ruhiger und weiser. Aber das ist natürlich noch mein Ding; meine Betrachtungsweise ändert sich nicht. Und meine Meinung von den Politikern hat sich um keinen Millimeter erhöht. Und die ist exakt auf Normalnull. (Lachen)
CRS: Und selber Politiker werden...?
GS: Ich bin doch nicht verrückt! (Lachen) Ich bin doch nicht verrückt!
CRS: ...die Seyfried-Partei...?
GS: Dazu bin ich nicht dumm genug, glaube ich!
CRS: Und die Intention in Deinen Zeichnungen. Wolltest Du etwas verändern, oder einfach nur...?
GS: Ursprünglich war es nix anders als Spaß haben; es war Lücken füllen im Layout und es war Notwehr gegen die Bullen, weil es halt nicht mein Ding war mit Zaunlatten auf die loszugehen und darum hab ick mich eben so versucht zu rächen, mit der Zeichenfeder.
CRS: Wann war zum letzten Mal die Polizei bei Dir im Haus?
GS: Das letzte Mal war die Polizei bei mir im Haus vor etwa vier Monaten um ein Bild bei mir zu bestellen (Lachen) Ja, das ist wahr!
CRS: Und was für ein Bild ist das gewesen?
GS: Ein Poliziebeamter wollte, dass ick die Besatzung, Bemannung und Befrauung seiner Wache darstelle. Das hab ick dann auch gemacht. Und recht gerne. Ja, war ein netter Beamter.
CRS: Und die kannten Dich auch und wußten, wie du früher Polizisten gemalt hast.
GS: Die ham die Leute früher in den Comicläden erschreckt, indem sie mit ganzen Wannen vorgefahren sind und da diese Polizeiplakate von mir gekauft haben. (Lachen)
CRS: Nicht beschlagnahmt?
GS: Ne, ne! Da schein ich doch ein Fankreis drin zu haben, einen deutlichen.
CRS: Ist das nicht Ironie des Schicksals?
GS: Nö, ich finde das o.k., komplett o.k.! Ich hab ja nie etwas gegen die Polizei direkt gemacht, sondern gegen den Mißbrauch der Polizei, oder gegen die "bösen" Polizisten.
CRS: Zum Thema Fans, mal abgesehen von den Polizistenfans, sind es sonst mehr die älteren, oder auch jüngere Leser?
GS: Das scheint beides gleich zu sein. Viele, viele jüngere bei den Signierstunden. Die Älteren werden eigentlich seltener. Die gibt es schon und sagen, ja hier die 68er, das zeigen wir jetzt unseren Kindern, wie das war.
CRS: Hattest Du denn auch schon mal dieses Alt-Hippie-Erlebnis, dass alte 68er auf Deinen Signierstunden auftauchen?
GS: Doch, dat gibt et. Ja klar gibt et Leute. Jeder bleibt mal irgendwo stehen auf ner Stufe und sagt: Jetzt hab ick die Schnauze voll vom Weiterklettern. Gut, das ist mir 68 nicht passiert. Das geht auch nicht. Das erlaubt der Beruf auch gar nicht. Entscheidend ist bei mir, dass ich Künstler bin und das läßt mich nicht stehenbleiben.G. Seyfried
CRS: Du siehst Dich selbst als Künstler...
GS: Ja!
CRS: ...denkst aber auch immer noch an die Altersversorgung.
GS: Ich denke nicht daran. Ich habe keine! Das wird sich dann schon zeigen.
CRS: Werden dann die Originale verkauft?
GS: Verbrannt wahrscheinlich, damit nach meinen Tod keiner Kohle damit macht, während sie mich jetzt so knapp halten.
CRS: Hast Du deine ganzen alten Sachen noch?
GS: Das meiste, das meiste. Ich mein, viel geht auch kaputt, einiges ist auch geklaut worden oder sonst durch meine eigene Schlamperei verschwunden. Wie gesagt, die ersten 20 Jahre hab ick da nie drüber nachgedacht. Ick hab auch nicht auf Originale acht gegeben, wie ick das jetzt allmählich mache.
CRS: Und kommt jetzt irgendwann der Reprint. Seyfried komplett, neu aufgelegt?
GS: Rotbuch macht so ein kleines Ding, wo "Wimmelbilder" von mir gesammelt sind. Das kommt jetzt im Herbst raus und heißt "Bullen, Bonzen und Berliner", wenn ick mich nicht irre. Es ist halt eine Sammlung typischer Wimmelbilder. Aber sonst 'ne Werkschau oder so ist nicht geplant.
CRS: Ausblick in die Zukunft, nach dem besten, was Du bisher gemacht hast? Was kommt als nächstes?
GS: Das nächste Buch oder was immer dann fällig ist. Vielleicht gibt es da keine Bücher mehr. Gut, dann müssen wir uns umstellen, oder einen Film, oder irgendwas, wer weiß.
CRS: Das wäre noch was für Dich, Film oder ein Storyboard zeichnen?
GS: Das haben wir sogar schon gemacht. Ja, ich habe schon Drehbücher auf Auftrag geschrieben.
CRS: Was waren das für Sachen?
GS: Kann ick nicht sagen. Das sind so Privatdeals. Die werden bestellt, man liefert sie ab und man wird bezahlt. Is nicht mein Ding darüber was zu sagen, offensichtlich.
CRS: Dein Schlußwort?G. Seyfried
GS: Ja, ick find, was uns fehlt ist eine Lobby, die wirklich die Gesetze durchdrückt, dass niemand ohne fünf bis sechs Ausgaben von einem bestimmten Comic den Laden verläßt!
CRS: Genau! Danke für dieses Gespräch! 
Die Fragen wurden gestellt von Markus [4] und die Photos hat Aleks [5] gemacht.
Das Interview fand statt am 12.Juni 1998 im Rahmen des 8.
Internationalen Comic-Salons in Erlangen

Wir bedanken uns beim Carlsen-Verlag [6]
für die Interview-Möglichkeit.




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