Comic Radio Show

Comic-Heldinnen der 40er/50er Jahre

Hintergründe / Understanding Comics
geschrieben von Maqz am 22.08.2001, 10:56 Uhr

cover: Sheena 1Als die Frauen noch die Männer retteten


von Gabriel Nemeth

Ein bei uns wenig beachtetes Kapitel der Comic-Geschichte, stellt die Ära der sogenannten Good Girl Art - Comics in den USA dar. Einige kennen aus den 50er Jahren sicher noch Heftserien wie z.B. DER BLONDE PANTHER, die 1948 in Italien entstand und mit 19 Heften auch ins Deutsche übernommen wurde.

Leider war dem BLONDEN PANTHER hierzulande kein längeres Serienheft-Leben beschieden. Die allzu freimütig zur Schau getragene Erotik der langbeinigen Dschungelheldin in ihrem knappen Fellbikini, war der verklemmten Nachkriegsgesellschaft der Adenauer-Ära ein Dorn im Auge.

Da man in der Nazi-Zeit bereit gute Erfahrungen mit Bücherverbrennungen gemacht hatte, übertrug man dieses Muster auch auf die schändlichen Bilderhefte. Unter dem Begriff "Schmutz- und Schundhefte" wanderten Serien wie DER BLONDE PANTHER tonnenweise auf die Scheiterhaufen des Jugendschutzes. Als Ersatz für die abgegebenen Comic-Hefte bekam man als Jugendlicher das sogenannte "gute Jugendbuch" in die Hand gedrückt.
Die Vorbilder von Serien wie DER BLONDE PANTHER kamen nach dem II. Weltkrieg aus den USA. 1936 gründete ein gewisser JERRY IGER zusammen mit WILL EISNER [1] in New York ein Studio, um den boomenden Comic-Heft-Markt mit Material zu versorgen. Das als IGER-SHOP bekannte Studio sollte für Jahrzehnte die Talentschmiede der US-Comic-Branche werden. Die Personal-Liste des Studios liest sich wie das Who-is-Who der späteren Comic-Zeichner-Stars. So war dort unter anderem BOB KANE [2] als Humor-Comic-Zeichner beschäftigt, bis er sich 1939 mit seiner Figur BATMAN [3] selbstständig machte.
Auch die Mehrzahl der jetzt im Hethke-Verlag [4] neu aufgelegten ILLUSTRIERTE KLASSIKER-Hefte, wurden im Studio von JERRY IGER getextet und gezeichnet. Beispiel: Sheena 35
1938 entwarf JERRY IGER für das Fiction-House-Magazin JUMBO COMICS die erste weibliche Dschungel-Heldin der Comic-Geschichte -SHEENA, QUEEN OF JUNGLE. Eine Dschungel-Heldin hatte es bis dato nur ein einziges Mal im Film gegeben, und zwar 1930 in der Paramount Produktion TRADER HORN - THE JUNGLE GIRL.
SHEENA war als Comic-Serie sofort ein Erfolg, und brachte es vom September 1938 bis April 1953 auf 167 Heft-Ausgaben in JUMBO COMICS.
Zwischen 1942 und 1953 bekam SHEENA zusätlich eine eigene Heftreihe, sowie eine TV-Serie im US-Fernsehen.
IRISH McCALLA, die SHEENA in dieser TV-Serie spielte, muß einen tiefen Eindruck bei den pubertierenden Jugendlichen der 50er Jahre in den USA hinterlassen haben. Sogar ROBERT CRUMB erinnert sich in einem Interview noch heute ganz deutlich an die "sozialethische Desorientierung" die die liebenswerte IRISCH McCALLA bei ihm ausgelöst hat.
Mit SHEENA war ein Archetyp kreiert, der zahlreiche Nachfolgerinnen nach sich zog. Witzigerweise kamen diese SHEENA-Imitationen zum größten Teil ebenfalls aus dem Studio von JERRY IGER. Cover: Rulah 19
Neben JUNGLE LIL, TIGER GIRL, CAMILLA - WILD OF THE CONGO, oder wie sie sonst noch alle hießen, ist vor allem RUHLAH - THE JUNGEL GODDESS interessant.
Getextet wurde RUHLAH von RUTH ROCHE, die nach dem Ausstieg von WILL EISNER [5] 1940 als Mitinhaberin in das Studio von JERRY IGER eingetreten war.
Während SHEENA ihr "Handwerk" in den Comics noch mit einer gewissen Ernsthaftigkeit betreibt, sind die Texte von RUHLAH für damalige Verhältnisse geradezu satirisch. So wird z. B. ein bedrohlich auftretendes Wildschwein schon gerne mal als "Travaling Barbecue" bezeichnet. Von da zu den Wildschwein-Orgien eines OBELIX [6] ist es nur noch ein kleiner Schritt. Und, was ich noch amüsanter finde, RUTH ROCHE läßt auch keine augenzwinkernde Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, dass RUHLAH sehr viel weniger Ärger hätte, wenn die Männer nicht so tollpatschig durch den Dschungel hampeln würden.
Alle naselang müssen sie aus brenzligen Situationen gerettet werden. Aber mit SABER, ihrem treu ergebenen Panther, bleibt RUHLAH immer Herrin der Lage. Beispiel aus Rulah 15
Gezeichnet wurde RUHLAH von JACK KAMEN, der später bei den EC-HORROR-COMICS, und nach der Einführung des US-Comic-Code beim Satire-Magazin MAD tätig war. Der 1973 im Williams-Verlag erschienene Band DER BESTE HORROR ALLER ZEITEN enthält übrigens eine köstliche Parodie von JACK KAMEN auf die damaligen Produktionsbedingungen im EC-Verlag - (sic) "Zeichne für UNS, Jack! Wir zahlen dir diesmal sogar was dafür!"
Auf das Texter-Konto von RUTH ROCHE geht auch noch eine andere bemerkenswerte Comic-Serie - PHANTOM LADY! Um Verwechslungen vorzubeugen, PHANTOM LADY hat nichts mit der später auch in Deutschland bekannt gewordenen Serie THE PHANTOM [7] von LEE FALK zu tun. Nach dem Erfolg von BATMAN 1939 und anderen maskierten Crime-Fightern, durfte die weibliche Superheldenschaft natürlich nicht außen vor bleiben. PHANTOM LADY war 1947 eine der ersten dieser wehrhaften Ladies, und sie ist aus mehreren Gründen bemerkenswert - von der eindeutigen erotischen Ausstrahlung mal abgesehen.


Cover: Seduction of the Innocent
Zu den regelmäßigen Lesern der PHANTOM LADY - Hefte gehörte von Anfang an ein New Yorker Psychologe namens DR. FREDERIC WERTHAM.
DR. WERTHAM war Chef der Lafargue Clinic, eine der ersten psychiatrischen Kliniken, die im Stadtteil Harlem gegründet worden waren. In dieser Funktion hatte er mit einer großen Zahl Jugendliche zu tun, die einen sehr hohen Comic-Heft-Konsum hatten. Was allerdings nicht verwunderlich ist, denn in den 40er Jahren hatten US-Hefte Millionen-Auflagen und sonstige Unterhaltungsmedien für Kinder und Jugendliche waren rar. Eines der ersten Symposien die DR. WERTHAM zu diesem Thema abhielt, trug den ominösen Titel "Die Psycho-Pathologie der Comic-Magazine". WERTHAM unterstellte den Comics, dass sie die Moral untergraben würden, gewaltverherrlichend wären, und wörtlich "sexually agressive in an abnormal way". Im Klartext hieß das bei WERTHAM, dass zum Beispiel das Lasso mit dem WONDER WOMAN [8] ihre Gegner einfing, eindeutig als Vagina-Symbol zu interpretieren sei. Was nach ANDREAS C. KNIGGE in seinem Buch SEX IM COMIC natürlich die Frage aufwirft, als was denn dann wohl die Gefangenen von WONDER WOMEN zu deuten seien?!
Die Figur WONDER WOMAN hatte übrigens ebenfalls ein Psychologe namens DR. WILLIAM MOULTON MARSTON erfunden. Bekannter als WONDER WOMAN wurde allerdings eine andere Erfindung von MARSTON, der sogenannte Lügendetektor.
Zurück zu DR. WERTHAM. Um seine vulgär-freudianischen Argumentationen zu untermauern, brachte WERTHAM auf Vorträgen und TV-Diskussionen Fallbeispiele von Jugendlichen aus seinem Klinikbetrieb und führte deren psychischen Störungen alleine auf den Konsum von Comics zurück. Sämtliche anderen Faktoren wurden von WERTHAM außer acht gelassen. WERTHAM sah selbst dort heimlich in die Comic-Zeichnungen eingebrachte Vaginas und nackte Frauen, wo es gar keine gab, nämlich in den Kleidungsfalten von Figuren oder deren Haaren. Heute würde man salopp formulieren - völlig durchgeknallt, der Onkel Doktor.
Für viele Eltern, Lehrer, und deren Organisationen kamen WERTHAMs pseudowissenschaftliche Thesen gerade recht. Nicht der II. Weltkrieg und seine Folgen, auch nicht die fehlende Sexualaufklärung waren an den Problemen der Jugend schuld, sondern die Comics. (ähnlich also wie heute [9] - aks)
Cover: Phantom Lady 17
WERTHAM entfachte so Ende der 40er Jahre in den USA einen unbeschreiblichen Flächenbrand gegen Comics, der 1954 in der Herausgabe seines berühmt-berüchtigten Buches SEDUCTION OF THE INNOCENT (= Die Verführung Unschuldiger), gipfelte.
Als eines der besonders abstoßenden Beispiele druckte er in diesem Werk das Titelbild des PHANTOM LADY - Heftes Nr. 17 ab, und versah es mit der Anmerkung - Sexual stimulation by combining "headlights" (=US-Umgangssprachlich für Brüste) with the sadists dream of tying up a woman. dass wir da allerdings eine PHANTOM LADY abgebildet sehen, die sich aus ihren Fesseln geradezu befreit, sagt uns auch wieder mehr über DR. WERTHAM, als über die Comic-Serie. Bei PHANTOM LADY handelte es sich um eine durch und durch selbstständige Frau, die in den Stories den Männern
zeigt wo es langgeht, und das war wahrscheinlich der eigentliche Grund für WERTHAMs Fanatismus gegen die Serie. Die Frauen hatten während der Kriegszeit den US-amerikanischen Laden zwar gut in Schwung gehalten, aber jetzt waren die Männer aus Europa wieder zurück. Und die Mädels sollten sich wieder auf das beschränken, was sie wirklich gut konnten, nämlich mit Kochtopf und Babypuder umgehen. Die Scheidungsraten schnalzten in dieser Zeit drastisch in die Höhe, und die Jugend sollte nicht auch noch in den Comic-Heften selbstständige Frauen vorgesetzt bekommen.
Die in diesen Jahren erscheinenden EC-HORROR-COMICS taten dann noch das übrige - 1954 war es dann soweit. Nach umfangreichen Senats-Hearings sowie der Bestrafung der Comic-Verleger, kam es zur Einführung des sogenannten COMIC CODE. Ab da mußte jedes Comic-Heft vor Drucklegung einer Komission vorgelegt werden, um dafür das Siegel "Approved by the Comic Code Authority" zu erhalten. Ein Comic-Heft ohne dieses Siegel auf dem Cover war zu den damaligen Marktverhältnissen praktisch nicht mehr absetzbar. Der COMIC CODE stürzte die gesamte US-Comic-Branche in eine tiefe Krise. Viele Heftreihen wurden praktisch von einem Tag auf den anderen eingestellt, Zeichner und Texter verloren ihre Arbeit, bis sie auf "harmlosere" Genres wie Kriegs- oder Western-Comics umgesattelt hatten. So auch der geniale afro-amerikanische Zeichner der PHANTOM LADY, MATT BAKER, der bis zu seinem frühen Tod 1955 nur noch in diesen Genres arbeitete. Beispiel aus Phantom Lady 18
Die gute PHANTOM LADY und ihre zahlreichen Kolleginnen aus dem Dschungel wehrten sich nicht mehr gegen die Angriffe der Saubermänner.
Nur die Herausgeber des ATLAS-MARVEL-VERLAGES, die eine Konkurrentin von PHANTOM LADY namens BLONDE PHANTOME im Programm hatten, wagten im letzten BLONDE PHANTOM - Heft Nr. 2 ein ANTI-DR. WERTHAM EDITORAL. Aber das nützte der maskierten Blondine auch nichts mehr. Die Super-Männer hatten einen unumstößlichen Sieg errungen, und fortan wurde die Wäsche wieder züchtig in der Telefonzelle gewechselt.
Als einzige der Dschungel-Ladys schaffte es die ATLAS-MARVEL-Produktion LORNA - THE JUNGLE GIRL auch noch zwei Jahre mit dem Siegel des COMIC CODE zu erscheinen. Im August 1957 schwang sich allerdings auch LORNA zum letzten Mal von Liane zu Liane.
Und so bleibt uns nur noch übrig, für all diese starken Comic-Frauen der 40er/50er Jahre eine kleine Träne zu zerquetschen, und uns an LORNAS denkwürdigen Satz aus ihrem vierten Heft zu erinnern, der da lautete: "Ganz egal was mit mir passiert, nur Greg darf nicht sterben!"
Hat Ihnen jemals eine Frau so eine Liebeserklärung gemacht?! Mit einem echt scharfen Messer in der Hand, und wild dazu entschlossen, Sie aus den Fängen Ihrer Peiniger zu befreien?! Eben! Dachte ich mir doch!Lorna: Ganz egal was mit mir passiert, nur Greg darf nicht sterben!


von Gabriel Nemeth / München / Copyright 1998


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