Comic Radio Show

Der Aufschub von Jean-Pierre Gibrat – Gesamtausgabe

Rezensionen / Krieg etc.
geschrieben von M.Behringer am 17.11.2011, 00:00 Uhr

Liebe in Zeiten des Krieges



Der Aufschub von Jean-Pierre Gibrat – Gesamtausgabe [1]Man merkt, dass Jean-Pierre Gibrat Kunst und Philosophie studiert hat. Seine Arbeiten sind stets von einem distanzierten, aber stets auch satirischen Geist getragen. Seine aufwendigen Bilder wirken sehr kunstvoll. Längst hat er sich auf historische Themen und die beiden Weltkriege spezialisiert. Doch Gibrat geht es nicht (nur) um militärische oder politische Inhalte – diese kommen allenthalben in subtiler Form, nebenbei vor. Ihm geht es vordergründig um Einzelschicksale inmitten von umwälzenden historischen Ereignissen. 'Von Dieben und Denunzianten' spielte in den letzten Tagen der deutschen Besetzung von Paris im Zweiten Weltkrieg. 'Mattéo' spielt im Ersten Weltkrieg. Doch die Helden Gibrats nehmen nicht wirklich am Krieg teil. So auch in seinem Werk 'Der Aufschub', das bereits in zwei Einzelbänden veröffentlicht wurde – der erste Band ist vergriffen [2] – und nun als Gesamtausgabe erschienen ist.

Die Erzählung spielt in Cambeyrac, einem kleinen französischen Dorf zur Zeit der deutschen Besatzung. Julien Sarlat sollte eigentlich in einem Zug nach Deutschland, zur Zwangsarbeit, sitzen. Doch er hatte andere Pläne und ist geflohen. Nun versteckt er sich in einem verlassenen Haus in Cambeyrac vor den Milizionären. Sein einziger Kontakt zur Außenwelt ist seine Tante Angèle, die ihn mit Lebensmitteln versorgt. Über das Radio verfolgt er den Fortschritt des Krieges und durch das Fenster der Dachwohnung observiert er das Dorfgeschehen – vor allem seine Herzdame Cécile, die mit dem Arzt Paul anzubandeln scheint. Denn alle denken, dass Julien tot ist – ein entstellter Leichnam wurde zusammen mit seinen Papieren, die er auf der Flucht aus dem Zug verloren hat, gefunden.

Der Aufschub von Jean-Pierre Gibrat – Gesamtausgabe

'Der Aufschub' ist gleichzeitig ein spitzbübischer Comicroman und literarischer Geschichtscomic. Gibrat erzählt die Handlung aus der Ego-Perspektive Juliens, der wie der Protagonist in Hitchcocks 'Das Fenster zum Hof' nur als Beobachter am Geschehen teilnimmt. Es geht inhaltlich um Liebe, Kollaboration und die Résistance. Fast nebenbei liefert Gibrat mit 'Der Aufschub' eine Verhaltensstudie im besetzten Frankreich. Doch hauptsächlich nimmt der Leser an den prosaisch geschriebenen Ängsten und Träumen Juliens teil. Gibrat ist es meines Erachtens auch sehr gut gelungen die Nebenfiguren zu inszenieren: da ist zum Beispiel der zynische und unverbesserliche kommunistische Dickkopf, der sich stets mit dem Pfarrer und Andersdenkenden anlegt.

Auch die Illustrationen sind meiner Ansicht nach meisterlich. Die plastisch wirkenden Zeichnungen wurden nicht getuscht. Gibrats Strich ist realistisch, die Bilder wirken aufgrund vieler Details historisch authentisch. Zusätzlich ist Gibrat auch ein grandioser Kolorist: Seine wunderschönen Aquarellfarben weisen viele Nuancen sowie Schatten und Lichteffekte auf. Das Artwork macht meiner Meinung nach insgesamt einen höchst aufwendigen und kunstvollen Eindruck. Einzelne Panels könnte man sich auch gut in einer Galerie oder einem Kunstmuseum vorstellen.

Der Aufschub von Jean-Pierre Gibrat – Gesamtausgabe

Die Gesamtausgabe enthält als Bonusmaterial neben einem aufschlussreichen Nachwort von Rebecca Manzoni Skizzen, sämtliche Coverbilder und zusätzliche Illustrationen. 'Der Aufschub' wurde auf dem Festival International de la Bande Dessinée d'Angoulême 1998 als 'Bestes Album' nominiert. Darüber hinaus wurde der Comicroman im Jahr 2000 als 'Beste deutschsprachige Comic-Publikationen (Import)' für den Max-und-Moritz-Preis nominiert. Das Fachmagazins RRAAH! kürte das Werk zum 'Comic des Jahres'.


Der Aufschub – Gesamtausgabe
Von Jean-Pierre Gibrat
Hardcover, 104 Seiten
Salleck Publications 2011


Am Besten kauft man sich das Band beim Comichändler seines Vertrauens
...jedoch...
Der Aufschub – Gesamtausgabe kann man auch gerne hier kaufen. [3]

Der Aufschub von Jean-Pierre Gibrat – Gesamtausgabe

(c) der Abb.: Salleck Publications und Gibrat

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