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New York - Großstadtgeschichten von Will Eisner

Rezensionen / Schwarz-Weiss
geschrieben von Peixe am 17.04.2011, 00:00 Uhr

Die Stadt, die niemals schläft

New York - Großstadtgeschichten von Will Eisner [1] Der Carlsen Verlag legt nach Ein Vertrag mit Gott [2], Mietshausgeschichten nunmehr den zweiten Band der „Will Eisner Bibliothek“ vor: New York. Großstadtgeschichten. Dieser Band, so ungewöhnlich wieder einmal die Erzählweise und der Erzählstoff sind, bietet für eine ganze Reihe Leser und Leserinnen Köstlichkeiten. Und wieder sei eine Warnung ausgesprochen: Wer einfach eine konventionelle Geschichte lesen mag, sollte gut prüfen, ob er in Will Eisners New York. Großstadtgeschichten findet, was er sucht oder die Bereitschaft mitbringen, sich überraschen zu lassen.

Zunächst versammelt dieser Band die einzelnen Werke Big City Blues (1986), The Building (1987), City People Notebook (1989) und Unsichtbare Menschen (1993, mit den Geschichten: Das Allerheiligste, Die Kraft, Erbitterter Streit). Und so wie sich der erste Band um ein Stadtviertel drehte, steht nun die Stadt, die niemals schläft, im Mittelpunkt des Erzählens, das sagenumwobene New York. Sie bilden im vorliegenden Werk eine gelungene Einheit und der Band könnte sich schon bald zu einem alternativen Reiseführer für New York-Liebhaber entwickeln, die noch einmal die Straßen entlang flanieren wollen und dabei mit Will Eisners unverstelltem Blick in die dunklen Hinterhöfe blicken, unscheinbaren Momente wahrnehmen und sogar die unsichtbaren Menschen jeder anonymen Großstadt vor sich wie Geister erscheinen lassen möchten.

New York - Großstadtgeschichten von Will Eisner

Big City Blues und City People Notebook vereinen Momentaufnahmen typischer Großstadtereignisse auf einer oft wortlosen Seite und betrachten wie durch ein Kaleidoskop unterschiedliche Facetten. The Building widmet sich vier mit dem Gebäude eng verbundenen Lebensgeschichten, deren Hauptpersonen immer noch als Geister das Hochhaus beleben. Unsichtbare Menschen reflektiert in drei Episoden über jene Menschen, die man in der Anonymität und Eile eines Großstadtlebens geflissentlich übersieht, wie unsichtbar eben. Selbst erlebbare Magie und Heilung verkümmert vor dem rationalen Lebensgefühl des modernen Menschen.

Schon bei den „einseitigen“ Momentaufnahmen lohnt sich ein aufmerksames Betrachten, denn manche Figuren, die hier (etwa in „Essenszeit“) unverständliche Randfiguren zu sein scheinen, stellen Rätsel, die sich erst in späteren Geschichten mit diesen Randfiguren als Hauptpersonen auflösen. So macht auch das zweite und dritte Lesen noch Spaß beim Entdecken dieser Zwischenverbindungen. So sehr alle Hintergründe der Metropole New York gewidmet sind, so menschlich sensibel fassen Eisners Episoden typisch menschliche Begegnungen, etwa die gegenseitigen wild-romantischen Fantasien eines Mannes und einer Frau, die sich in der Straßenbahn unbekannterweise sehen und ihren Wolllüsten zumindest in Gedanken freien Lauf lassen. Viele weitere urmenschliche Themen beleuchtet Eisner in diesem Stadtporträt:
- Einsamkeit und Anonymität, die einen Menschen auf absurde Weise „tötet“,
- Liebe zwischen sozialer Sicherheit und romantischer Poesie,
- dem Wunsch, etwas Gutes zu tun und seinem Leben einen Sinn zu geben.

New York - Großstadtgeschichten von Will Eisner

Und wenigstens zwei Themen, die in New York. Großstadtgeschichten durchgespielt werden, sind gerade in Deutschland topaktuell:
1) Zivilcourage angesichts gewalttätiger Übergriffe im Öffentlichen Raum - man denke an die Übergriffe in deutschen U-Bahnstationen!
2) Und angesichts der wachsenden Pflegebedürftigkeit älterer Verwandter die gravierenden Einschnitte ins persönliche Leben derer, die die häusliche Pflege leisten. Wenn dann ein neuer Partner ins Lebens tritt schlägt die Not der Pflegebedürftigen manchmal in bitterböse Konkurrenz um und manchmal zu massiver subtiler Gewalt. Dieser Erfahrung widmet Eisner eine ganze Geschichte („Erbitterter Streit“) und trifft diese Lebenslage so stimmig, dass sie nichts von ihrem Schrecken und ihrer Wahrheit im überalterten Deutschland verloren hat.

Auch wer edle Arrangements liebt, findet mehrdeutige Bildkompositionen à la M. C. Escher („Der Fluss“) oder eine Führung der Bildübergänge, die ohne plumpe Pfeile auskommen, sondern ganz ins Bildgeschehen eingebunden sind („Sermonette“). Und auch seine Fähigkeit Musik, Lärm und die typische Geräuschkulisse einer pulsierenden Stadt wie New York ins Bild zu setzen ist phänomenal. Hier wird mehr als sieben Mal deutlich, dass Comic-Zeichnen doch auch eine Kunst sein kann.

New York - Großstadtgeschichten von Will Eisner

Zum Äußeren: 423 Seiten stark, edel gebunden, mit Einlegebändchen – ein stolzer Wälzer! Oft stört mich bei Neuauflagen die starke Verkleinerung, doch hier ist die Größe der Seiten ausreichend und verstärkt die Wirkung der Zeichenkunst Eisners. Vor- und Nachworte runden den exzellenten Gesamteindruck ab. Für eingefleischte Fans gibt es eigens für diesen Band gezeichnete Seiten, die den Übergang erleichtern, insgesamt 11 an der Zahl. Man merkt, dass Eisner noch persönlich und aktiv an der Herausgabe des Bandes mitgewirkt hat.
Will Eisner © Courtesy of the WILL EISNER ESTATE

New York. Großstadtgeschichten
Zeichnungen/Text: Will Eisner
mit einem Vorwort von Neil Gaiman
und einem Geleitwort von Denis Kitchen
und einem Verzeichnis der neu aufgenommenen Illustrationen
und einem Verzeichnis der bisher unveröffentlichten Outtakes
und einer biografischen Notiz (Andreas C. Knigge)
423 Seiten, Hardcover, s/w
Carlsen Verlag, Hamburg, 34 Euro
2010


New York. Großstadtgeschichten kannst Du gerne auch hier kaufen [3]



(c) der Abb.: Carlsen Verlag, Hamburg, & Eisner


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