Doppel-Retro: Der heitere feldgraue Fridolin
[1] 1942, ganz Belgien ist besetzt. Der von Nazi-Deutschland ausgeübte Terror ist so umfassend, dass sogar die Uniformen der Brüsseler Hotelpagen vom angestammten Rot ins Feldgrau der deutschen Soldaten wechseln mussten. Einer dieser feldgrauen Hotelpagen ist der junge Spirou, der sich zum Schein von der Gestapo hat anwerben lassen, insgeheim aber für den Widerstand die im Hotel residierenden deutschen Luftwaffenoffiziere ausspioniert. Deren Befehlshaber, Oberst von Knöchel, hat gerade ein arges Problem: Eine unbekannte Geheimwaffe bringt ganze deutsche Bomberstaffeln zum Abstürzen, mit Explosionen in der Luft. Worum kann es sich bei dieser Geheimwaffe handeln? Eine Art Todesstrahl, wie Oberst von Knöchel vermutet? Mit Fledermäusen wird es sicherlich nichts zu tun haben, sonst hätten die deutschen Übersetzer dem Band doch nicht einen verräterischen Spoiler-Titel wie „Operation Fledermaus“ gegeben?
Doch, haben sie. Wie beim Vorgängerband „Porträt eines Helden als junger Tor“ [2] haben die Übersetzer bei der Titelwahl ziemlich danebengegriffen. Angeblich ist der Titel mit den Autoren abgesprochen, doch er nimmt den deutschen Lesern die Möglichkeit zu rätseln, worin diese geheimnisvolle belgische Abwehrwaffe besteht. Die Leser der Originalausgabe erfahren dies erst nach zwei Dritteln der Handlung, lautet der Originaltitel doch „Le groom vert-de-gris“, was man grob mit „Der feldgraue Page“ übersetzen könnte.
Der missratene Titel ist sehr bedauerlich, ist doch die Übersetzung von Marcel Royer in der Bearbeitung von Hartmut Klotzbücher ansonsten außerordentlich gelungen und vorbildlich. Schwierigkeiten wie die Wiedergabe des Brüsseler Dialekts im Deutschen werden gemeistert, und Textgags, die bei der wörtlichen Übersetzung etwas leiden, werden durch kreative und pfiffige eigene Ideen ersetzt. So wird ein französisches Liedchen, das Eichhörnchen Pips in Gedanken trällert, in der deutschen Fassung mit einem zeitlich wie inhaltlich perfekt zur Szene passenden Comedian-Harmonists-Schlager ersetzt.
Die Geschichte selbst ist schwungvoll und abwechslungsreich, deutlich unterhaltsamer als alles, was Morvan und Munuera jemals in der Hauptserie abgeliefert haben. Sie knüpft zeitlich am Vorgängerband an, Emile Bravos „Journal d'un ingénu“, ist gewissermaßen dessen Fortsetzung. Man könnte noch mäkeln, dass die Wandlung Spirous vom unpolitischen, schüchternen „jungen Tor“ aus Bravos Album zu diesem mutigen, entschlossenen Widerstandskämpfer etwas abrupt wirkt, doch die Alben in dieser Sonderserie „Une aventure de Spirou et Fantasio par...“ sind ja ausdrücklich nicht-kanonisch, die Autoren können machen, was sie wollen, ohne auf Kontinuitäten Rücksicht nehmen zu müssen.
Insofern hätte sich Szenarist Yann nicht abhalten lassen müssen, wie in der Urfassung dieser Geschichte vorgesehen, an der er vor fast 30 Jahren mit Yves Chaland gearbeitet hatte, die erste Begegnung von Spirou und Fantasio zu erzählen. Da dies aber Emile Bravo in „Porträt eines Helden als junger Tor“ bereits getan hatte, ist Yann davon abgerückt. Überhaupt habe er alle Ideen Chalands, die dieser damals beigesteuert hatte, in dieser Fassung weggelassen, um diese Ideen nun nicht auszubeuten.
Mit Schwartz als Zeichner hat Yann aber den idealen Ersatz für den 1990 tödlich verunglückten Chaland gefunden. Schwartz war ohnehin immer vom Stil Chalands beeinflusst gewesen, und seine Zeichnungen heute sind eher lebendiger und schwungvoller als die seines Vorbilds es damals waren. Auch in den Seitenlayouts orientiert er sich meist an den von starren Bildzeilen befreiten Seitenaufteilungen der frühen Freddy-Lombard-Alben Chalands. Insofern ist dieser Band in doppelter Hinsicht Retro: Er erinnert nostalgisch an die 80er-Jahre-Ligne-claire, die wiederum ein nostalgischer Rückblick auf die Comics der 50er Jahre waren. Darüberhinaus beweist Schwartz einen guten Blick für Frisuren und Kleidungsmoden jener Zeit.
„Operation Fledermaus“ ist außerdem liebevoll bis obenhin mit Details und Anspielungen vollgestopft, die den Band für Kenner frankobelgischer Comics zum besonderen Vergnügen machen. Sämtliche Straßen tragen die Namen von Spirou-Zeichnern. Unzählige Figuren haben Cameo-Auftritte, von A wie Aristide Klemm-Halbseid aus Hergés „Das Geheimnis der Einhorn“ über Figuren aus Vandersteens „Suske und Wiske“ und einige von Yves Chalands eigenen Charakteren bis Z wie dem jungen Zyklotrop (in Wernher von Brauns Entwicklungsteam!). Es sind so viele, dass, als Yann und Schwartz einmal drei eigene skurrile Figuren in die Geschichte einführen, man grübelt, aus welcher abseitigen Geschichte die stammen und ob man die kennen müsste. Aber die drei Swing-Fans Drehwurm, Glu-Glu und Plankton sind Eigenkreationen, die sich perfekt in die Dekor einpassen.
Anders als diese drei Figuren wirkt der kurze Auftritt einer an Anne Frank erinnernden Jüdin sehr künstlich und aufgepropft. Nicht nur ist die Figur blass und konturlos, sie ist auch ohne jegliche Funktion für die Handlung. Auch sind die Besatzungssoldaten im Übermaß dämlich dargestellt. Wenn die wirklich alle so gewesen wären, wäre der Welt der Schrecken des zweiten Weltkriegs wohl erspart geblieben. Der herrlich blöde Adjutant des Oberst von Knöchel, der wie sein Zeichner Schwartz heißt, hätte es schon allein getan. Aber dies soll ja auch keine realistische Doku sein, sondern ein unterhaltsamer Comic, der vielleicht nicht ganz so genial wie Emile Bravos Spirou, aber doch sehr gelungen ist.
Abgerundet wird dieser Band wieder durch zwölf Seiten mit tollem Bonusmaterial, das nur in der deutschen Ausgabe enthalten ist, und vielen interessanten Zusatzinformationen von Volker Hamann.
Und noch ein witziges Detail am Rande: Das Standardschimpfwort für die Besatzer in der deutschen Fassung lautet „die Fridolins“. Und Spirou, der hier zum Schein mit den Fridolins zusammenarbeitet, hatte seinen ersten Auftritt in Deutschland 1958 unter dem Namen „Der heitere Fridolin“ - da schließt sich mal wieder ein Kreis!
Spirou und Fantasio Spezial 9: Operation Fledermaus
von Schwartz und Yann,
80 Seiten, Softcover
Carlsen Verlag, 10 Euro
Spirou und Fantasio Spezial 9: Operation Fledermaus kannst Du auch gerne hier bestellen [3]
Bilder aus dem französischen Album "Spirou, le groom vert-de-gris" in einer Animation [4]
Und hier noch die Rezension zu Spirou & Fantasio Spezial Band 8 [5]
(c) der Abb.: Carlsen Dupuis und Autoren
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