Comic Radio Show

Der Junker von Ballantrae

Rezensionen / Abenteuer
geschrieben von M.Behringer am 13.11.2022, 00:00 Uhr

Unterhaltsame Comic-Adaption eines gehobenen Abenteuerromans



Der Junker von Ballantrae [1] Mit Comic-Adaptionen von literarischen Vorlagen ist das so eine Sache: Manche Comic-Autoren bleiben sehr (oder zu) nah am Originaltext und bebildern diesen lediglich eins zu eins. Mir gefallen eher die Adaptionen, die den Text frei und kreativ in Sequenzen umsetzen – und zwar sowohl textlich als auch visuell. Da gibt es durchaus ein paar gelungene Beispiele, aber ich habe auch schon sehr viele unkreative Varianten gelesen. Deshalb war ich sehr gespannt auf Hippolytes Adaption von „Der Junker von Ballantrae“. Wer die Vorlage (wie ich) nicht gelesen hat (ich habe von Stevenson lediglich „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ gelesen): Es handelt sich um einen historischen Abenteuerroman von Robert Louis Stevenson, der 1888 erschien und zur Weltliteratur zählt.

Schottland, 1745: Die beiden ungleichen, verfeindeten Brüder James und Henry aus dem Adelsgeschlecht Durrisdeer und Ballantrae streiten sich darum, wer von beiden in den Krieg gegen den Englischen König zieht. Schottische Rebellen fordern durch die Revolution Eigenständigkeit. Die Adelsfamilie sitzt aber zwischen den Stühlen und will es beiden Parteien recht machen, weshalb nur einer der beiden Söhne an der Revolte teilnehmen soll und der Andere beim Vater Lord Durisdeer bleiben, um Königstreue zu demonstrieren. Die ohnehin zerstrittenen Brüder werfen sich gegenseitig Verrat vor, als der Erstgeborene James zum Kampf zieht.

Die Handlung läuft über 20 Jahre. Narrativ nutzt Stevenson als Ich-Erzähler Mr. Ephraim Mackellar, der Verwalter auf dem Gut Durrisdeer ist und Lord Durisdeer und Henry treu ergeben ist. Tonal tritt er als wissender Herausgeber auf, der bei seinem Bericht stellenweise auf zwei weitere Augenzeugenberichte zurückgreift, da er zeitweise nicht selbst vor Ort war. Dieser erzählerische Rahmen schafft eine auflockernde Distanz zum gezeigten Geschehen, da MacKellar geschwätzig berichtet.

Der Junker von Ballantrae

Obwohl „Der Junker von Ballantrae“ ein Abenteuerroman resp. Abenteuercomic ist, und viele genretypische Versatzstücke wie Piratengefechte oder Duelle enthält, wird er aufgrund der multiperspektivischen Erzählweise literarisch gehoben. Die besagten sich überlagernden Darbietungsperspektiven sorgen für Komplexität und tonal für eine auflockernde Portion Ironie. Dazu kommt, dass die Grenzen von Gut und Böse nicht klar umrissen sind bzw. anfängliche Charakterisierungen brechen und sich verkehren. Diese Ambivalenz verweigert eine klare Schwarz-Weiß-Einordnung und bringt interessante Figuren hervor.

Überhaupt lebt die Story stark von der Gegenüberstellung der spinnefeindlichen Brüder, die sich als zwei Seiten einer Medaille herausstellen. James ist der draufgängerische charismatische Abenteurer und Henry der unbeliebte blasse Introvertierte. Dieser Antagonismus steht in keinem Widerspruch zur charakterlichen Ambivalenz, vielmehr besetzt er die Startpunkte, von der aus die Story beginnt und sich ausbreitet, und die Ambivalenz differenziert lediglich diese Startpunkte.

Der Junker von Ballantrae

Grafisch fällt zunächst der eigenwillige Stil Hippolytes auf, dessen Strich durch Übertreibung und Karikatur geprägt ist. Seine vorsichtig aufgetragenen Bleistiftzeichnungen wirken roh und skizzenhaft, manchmal fällt es dadurch schwer, Figuren auseinanderzuhalten, wenn sie in der Totalen gezeigt werden. Seine getünchten Farben wirken aquarelliert und nuanciert. Das Gesamtbild erscheint kunstvoll und plastisch.

Als Einführung gibt es ein Vorwort, das inhaltlich die Geschichte der Vorlage vorwegnimmt. Deshalb habe ich die Lektüre abgebrochen und erst danach gelesen. Ansonsten ist es aber interessant und eine gute Ergänzung.

Auch ohne die Vorlage zu kennen, gehe ich davon aus, dass sich Hippolyte bei der Inszenierung Freiheiten genommen hat, textlich aber beim Original geblieben ist. Deshalb gehe ich davon aus, dass er eine kreative Adaption geschaffen hat. Unabhängig davon ist der Comic höchst unterhaltsam und komplex erzählt. Es macht viel Spaß dem Zwist der Brüder, aber auch den Abenteuern beizuwohnen. Visuell fällt Hippolytes eigenwilliger Strich auf, der sehr gut zum Inhalt passt. Letztlich eine schöne Comicadaption eines Klassikers.

Der Junker von Ballantrae [2]


(c)opyright der Abbildungen, mit freundlicher Genehmigung: Schreiber & Leser Verlag 2022


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