Comic Radio Show

Modernisierung eines ikonischen Comicklassikers

Rezensionen / Abenteuer
geschrieben von M.Behringer am 28.02.2022, 00:00 Uhr

Corto Maltese: Schwarzer Ozean



Corto Maltese: Schwarzer Ozean [1]

Bei manchen (Comic-)Figuren ist es unvorstellbar, dass sie von einem anderen Autor als dem ursprünglichen Schöpfer interpretiert werden. Inzwischen werden aber ja alle Klassiker, die nicht bei drei auf dem Baum sind, neuinterpretiert. Diesem Trend ist jüngst auch „Corto Maltese“ erlegen: Juan Dìaz Canales und Rubén Pellejero haben Hugo Pratts meisterhafte Serie tatsächlich fortgesetzt. Und nun durften Martin Quenehen und Bastien Vivès den Titelhelden aus Pratts Klassiker sogar fast in die Gegenwart versetzen. Sind die beiden dabei ähnlich werkgetreu vorgegangen wie Canales und Pellejero? Oder haben sie einen freieren Ansatz gewählt?

„Schwarzer Ozean“ beginnt kurz vor den Ereignissen von 9/11 auf dem Chinesischen Meer und der Leser muss damit klarkommen, dass Corto ein Pirat ist (und kein Seemann!). Doch dann erleben wir ihn wieder: den stoischen Antihelden, der sich für Schwache und für das Gute einsetzt.

Und auch sonst überträgt Quenehen viel vom Original ins neue Zeitalter. Auch dieser Corto ist lakonisch, aber nie um ein philosophisches Zitat verlegen. Auch dieser Corto hat eine Schwäche für die Unterdrückten und das schöne Geschlecht. Auch dieser Corto ist ein Dickschädel und vorurteilsfrei.

Quenehen gelingt ein guter Spagat zwischen Hommage und Erweiterung, indem er in Pratt'scher Manier eine mythisch unterlegte Schatzsuche in den Ereignissen von 9/11 inszeniert. In dem Moment, wo man den guten alten Rasputin vermisst, taucht er auch schon auf, um sich als Drogendealer zu diskreditieren.

Corto Maltese: Schwarzer Ozean

Grafisch ist schnell ist klar, dass sich Vivès NICHT streng an Pratts Ästhetik hält. Die ersten 17 Seiten sind noch koloriert, der Rest ist dann s/w mit grauen Füllungen. Ansonsten ist Vivès Strich realistisch mit leichter Reduzierung und extrem stilvoll. Was ihn mit Pratt verbindet sind harte Kontraste und stellenweise Schwarz als Füllfarbe. Vor allem die Kampfszenen haben mich stark an das Original erinnert: die typische Lautmalerei, die Panelgestaltung und die lakonische Weise der Gewaltdarstellung.

Corto Maltese: Schwarzer Ozean

„Schwarzer Ozean“ enthält ein übersetztes Nachwort von Benoît Mouchard (Verlagsleiter von Casterman) und ergänzende Charakterstudien. Mouchard ordnet die Neuinterpretation unterhaltsam ein und die Charakterstudien sind in bester Pratt-Tradition gestaltet.

Quenehen und Bastien gelingt eine Erneuerung, die den Kern des Originals behält. Sie inszenieren eine Comicikone neu ohne das Fundament zu zerstören und liefern damit eine gelungene Neuinterpretation ab, die Lust auf mehr macht.



(c)opyrighht der Abbildungen mit freundlicher Genehmigung: Verlag Schreiber & Leser 2022

Der Beitrag kommt von Comic Radio Show
  http://www.comicradioshow.com/

Die URL für diesen Beitrag lautet:
  http://www.comicradioshow.com/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=4842

Die folgenden URLs sind im Beitrag enthalten:
  [1] http://www.amazon.de/exec/obidos/asin/3965820877/diecomicradiosho