Gleichermaßen Bildband, Poesie und Reklame
[1]Venedig erscheint posthum und erschwert bereits dadurch die unvoreingenommene Bewertung dieses vollständig kolorierten Mangas im „DIN A4“-Querformat. Jiro Taniguchi (1947-2017) starb am 11. Februar dieses Jahres, im Alter von 69 Jahren und berichtet im Nachwort des Comics, dass er bereits eine Idee für eine Fortsetzung der Geschichte habe. Zusammen mit der ohnehin schon melancholischen Atmosphäre der untergehenden Stadt Venedig verstärkt das noch die bittersüße Abschiedsstimmung dieses Werks, in dem so wenig Text vorkommt, das es weit mehr wie ein Bildband wirkt denn wie ein Comic.
Taniguchi deutet im Nachwort an, was der Comic nicht zeigt, nämlich die Touristenmassen und den Vergnügungsparkcharakter dieser italienischen Sehenswürdigkeit, die bedroht ist, den Titel Weltkulturerbe zu verlieren seitdem dort riesige Kreuzfahrtschiffe verkehren, die mit ihrem Feinstaub die Luft verschmutzen und mit ihrer Wasserverdrängung den Verfall der Brücken zusätzlich beschleunigen. Eine Stadt, deren Bewohner zunehmend wegziehen, weil das Leben dort zu unpraktisch und der Erhalt der Gebäude zu kostspielig ist. Insofern könnte man diesen Comic als Kitsch bezeichnen. Doch damit wird man ihm nicht gerecht.
Die Geschichte ist äußerst simpel: Im Nachlass seiner kürzlich verstorbenen Mutter entdeckt der Protagonist ihm bislang völlig unbekannte Fotos, die seine Mutter in Venedig zeigen. Er begibt sich auf eine Entdeckungsreise nach Europa. Dort nähert er sich ganz behutsam der prachtvollen Stadt und letztlich seiner eigenen Vergangenheit.
Es mag Zufall sein, aber der Himmel klart sich auf, die Farben werden heller und so verhält es sich auch mit der Stimmung der Erzählung. Trauer weicht Hoffnung und Akzeptanz. Der Erzähler fügt sich dem Weltenlauf und entdeckt große Schönheit darin.
Eigentlich hat „Venedig“ kaum etwas von einem (hektischen) Manga, das schreibt auch der Autor selbst. Und wäre nicht die chronologisch gegliederte Handlung mit ihren kleinen, wenig überraschenden Wendungen – man könnte das Buch genau so gut als Bildband vermarkten, (zumal im Anhang auch alle Motive namentlich genannt werden) und genau das ist ja auch der Fall, ist dieser Comic doch Teil einer Reihe Bücher von Städten und Ländern, die verschiedene Künstler interpretiert haben. Das der Sponsor dieses Projekts, ein Taschenhersteller, in einem der Panels und im Anhang gewürdigt wird, schmälert die Begeisterung für dieses Werk schon ein wenig – hat was von einem Mercedes-Stern auf dem Petersdom, einem Apple-Sticker auf der Mona Lisa oder einem Facebook-Wimpel auf dem Markusplatz – einfach unpassend, weil anbiedernd und vergänglich.
Wer will, ist in 20 Minuten mit diesem Comic durch. Das ist ungefähr so sinnvoll wie im Laufschritt durch ein Museum zu rennen, also: Muße mitbringen und Taniguchis höchst ästhetische Bilder in Ruhe auf sich wirken lassen. Dafür erhält man eine Stadtführung durch einen Ort, den es so wohl nur auf dem Papier gibt und eine überzeugende Metapher für diese so kurze, so bittere und so süße Reise, die unser Leben ist.
Wertung: 70 %
Venedig
Text & Zeichnungen: Jiro Taniguchi
Übersetzung aus dem Japanischen: Jens Ossa
144 Seiten, Broschur, farbig
Format: 199 x 290 mm
Extras: Nachwort von J. Taniguchi, Bildbeschreibung, Biographie, Luis Vuitton Travel Book Info
2017 Carlsen, 29,90 Euro
ISBN 978-3-551-74419-7
Am Besten kauft man sich den Comic beim Comichändler seines Vertrauens
...jedoch... Jiro Taniguchis Venedig kannst Du auch gerne hier kaufen.
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