Comic Radio Show

Der Bildhauer

Rezensionen / Independent
geschrieben von Micha am 31.05.2015, 19:24 Uhr

Früher Theorie, jetzt Praxis


Der Bildhauer [1]Seufz! Bei amerikanischen Comics geht’s wohl einfach nicht ohne Superkräfte. Nicht mal dann, wenn die Hautfiguren so außergewöhnlich tief charakterisiert sind wie in Scott McClouds „Der Bildhauer“. Es geht um den jungen Künstler David Smith, der nicht auf die Füße kommt und in den Mechanismen einer kungelnden Kunstszene zerrieben wird. Dann begegnet ihm – in der Gestalt seines verstorbenen Onkels Harry – der Tod höchstpersönlich und bietet ihm einen Deal an: Er bekommt die Fähigkeit, mit seinen Händen jegliches Material nach seiner Vorstellung zu formen, hat dann aber nur noch 200 Tage zu leben.


David lässt sich darauf ein und macht sich mit dieser Superkraft ans Werk. Doch auch auf seine so in Rekordzeit geschaffenen Skulpturen lässt sich der Kunstbetrieb nicht ohne Weiteres ein, jedenfalls nicht innerhalb der vom Tod vorgegebenen Frist. Noch dazu muss David wegen Mietschulden untertauchen und versteckt sich bei der erfolglosen jungen Schauspielerin Meg.

David will gesehen werden und schafft seine Kunstwerke fortan nachts auf der Straße – mit öffentlichem Eigentum als Material. Dadurch wird nicht nur die Öffentlichkeit auf ihn aufmerksam, sondern auch die Polizei, die den geheimnisvollen nächtlichen Guerilla-Künstler wegen Sachbeschädigung sucht. David und Meg, die ihre ganz eigenen Probleme mit sich selbst hat, verlieben sich, doch die 200 Tage laufen gnadenlos ab...

Der Bildhauer

Nach seinen Comic-Sachbüchern "Comics richtig lesen", "Comics neu erfinden" und "Comics machen" hat sich Scott McCloud offenbar genug mit der Theorie auseinandergesetzt und sich nun der Praxis zugewandt. Mit „Der Bildhauer“ legt er seine erste Graphic Novel vor. Seine Zeichnungen sind souverän, mitunter vielleicht eine Spur zu exakt, aber doch ausdrucksstark. Der Erzählrhythmus passt genau, auch wenn mir persönlich die Endsequenz etwas zu armageddonmäßig bombastisch ausgefallen ist. Das hätte es nicht gebraucht, denn McClouds Charaktere David und Meg haben so viel Kontur und die richtige Menge innerer Widersprüche, die sie lebensnah macht, so dass sie die Geschichte tragen.

Alles in Allem: In der Theorie ist McCloud gründlich und umfassend, in der Praxis als Erzähler schlicht brillant.


Der Bildhauer
von Scott McCloud,
496 Seiten,
Carlsen Comics, 34,99 Euro



Am Besten kauft man sich das Comic beim Comichändler seines Vertrauens
...jedoch... Der Bildhauer kannst Du auch hier kaufen. [2]


(c) der Abbildungen mit freundlicher Genehmigung: Scott McClud und Carlsen Verlag Hamburg 2015

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