Interview mit Felix Pestemer über seine beim avant verlag erschienene Graphic Novel "Der Staub der Ahnen“
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Felix Pestemer (geboren 1974 in Braunschweig) studierte Bildende Kunst in Berlin und Illustration in Barcelona. Seitdem arbeitet er an der Schnittstelle beider Disziplinen. 2003 gründete er mit Maria Guitart Ferrer 'Puttbill' als Label für ihre Bilderbuch-Parabeln. Heute umfasst Puttbill auch narrative Grafikserien. Im Zentrum der künstlerischen Arbeit stehen die Themen der Vergänglichkeit, der ideellen Wertschätzung und der Deterritorialisierung von Zeichen und Symbolen. Felix Pestemer lebt und arbeitet in Berlin.
Seit wann bist du als zeichnender und schreibender Comic-Künstler tätig?
Felix Pestemer: Schwer zu beantworten – streng genommen bin ich wohl erst als Comic-Künstler tätig, seitdem ich 2011 mit der Arbeit für den 'Staub der Ahnen' begonnen habe. In den letzten zehn Jahren sind zwar zahlreiche Bilderbücher und so etwas wie Bilder-Parabeln entstanden, die ich aber nicht dem Comic zuordnen würde. Außerdem sind sie allesamt unveröffentlicht (abgesehen von dem Kinderbuch „20 fabuleux números de cirque“, das 2006 bei dem belgischen Verlag Alice Jeunesse erschienen ist).
Irgendwie blieb ich mit meinen sperrigen Stories immer dem verhaftet, was ich heute Kunst-Kunst nenne. Meinen Meisterschüler in Freier Kunst habe ich z.B. mit einer selbst verfassten und aufwändig illustrierten Zecken-Fabel gemacht. Das war im Rückblick wohl so eine Art Statement, wohin ich will – aber damals war mein Adressat immer der Kunstkontext.
Wie entstand die Idee zu deinem GN-Comic "Der Staub der Ahnen“?
Felix Pestemer: 2000/2001 habe ich ein Auslands-Semester in Mexiko verbracht und, weil ich kein spanisch konnte, dort erstmal einen Sprachkurs belegt. Meine Lehrer legten viel wert darauf, dass wir auch etwas über ihr Land lernen. An Allerheiligen wurde ein Totenaltar in der Schule errichtet, dann wurden wir zu ihren Familien und auf den Friedhof eingeladen, um die mexikanischen Traditionen am 'Tag der Toten' kennen zu lernen. Diese Eindrücke haben mich nie mehr losgelassen. Ich habe damals eine Bilderwelt für mich entdeckt, die ich später immer wieder aufgesucht habe.
2004 war ich wieder ein paar Monate in Mexiko, vielleicht mit einer vagen Idee im Hinterkopf, und als ich wieder zurückkam, habe ich mich mit dem Vorhaben eine Bildergeschichte über den Tod in Mexiko zu zeichnen für ein DAAD-Jahresstipendium beworben. Ein Jahr später ging es los.
Schildere doch bitte kurz den Inhalt des Comics, ohne zuviel zu verraten…
Felix Pestemer: Eusebio Ramirez, Wärter eines Maskenmuseums, kommt nach vielen Jahren wieder in seine Heimat in der mexikanischen Provinz, um seinen Frieden mit der ehemals befreundeten Familie Rojas zu machen. Allerdings haben die mittlerweile fast alle das Zeitliche gesegnet. Umso besser, dass am 'Tag der Toten' die Seelen der Verstorbenen auf die Erde kommen, um mit den Lebenden zu feiern!
Eusebio glaubt fest daran, dass die Toten weiter existieren, solange man ihrer gedenkt. Consuelo, seine letzte lebende Bekannte aus der Familie, hat vor kurzem ihren ältesten Sohn Benito verloren. In einem langen Kondolenzbrief versucht er sie als Verbündete zu gewinnen, indem er ihr die Geschichten und Legenden der verblichenen Rojas´ erzählt. Doch als Eusebio schließlich in sein Maskenmuseum zurückkehrt, holt ihn die Vergangenheit in einer Form ein, die er sich nicht hätte träumen lassen...
Ein wichtiger Punkt des Comics dreht sich um den „Tag der Toten“. Erzähl mal: was bedeutet dieser?
Felix Pestemer: Es ist der größte Feiertag des Jahres, die imposante und feuchtfröhliche mexikanische Variante von Allerheiligen, an dem der Toten gedacht wird. Konkreter: Die Seelen der Verstorbenen kommen zur Erde, um auf dem Friedhof mit den Lebenden zu feiern. Diese Tradition ist im Zuge der Konquista aus dem Synkretismus von Katholizismus und den indigenen Religionen entstanden. Neben üppigem Grabdekor und oftmals auch einer zünftigen Party, werden in den Häusern Totenaltäre errichtet, auf denen neben den Bildern der lieben Verstorbenen, zahlreiche religiöse und traditionelle Artefakte, Speiseopfer und Dinge dargebracht werden, die die Toten besonders gerne gemocht haben oder die typisch für sie waren.
Was faszinierte dich am Thema besonders?
Felix Pestemer: Zuerst einmal ist es diese völlig andere Art des Gedenkens und der Erinnerung, die trotz massiver Materialschlacht und Überforderung der Sinne irgendwie leicht daher kommt.
So eine Art mit Trauer umzugehen wünschte ich mir auch. Aber das ist natürlich auch ein verkitschter Blick. So faszinierend (und für mich überzeugend) dieses fröhliche Totenfest mit all den Zuckerschädeln, Blumen, Totenaltären, Heiligenfiguren und Maskentänzen ist - der Mexikaner, der sich über den Tod lustig macht, trägt selbst eine Maske. Was mich am meisten fasziniert, ist wohl die Ästhetik des Ganzen. Für unsereins schwingt bei diesem Fest etwas Morbides mit, was aber so vielfach gebrochen wird, dass unsere Klischees von Tod und Verderben, Friedhof und Verfall partout nicht anzuwenden sind. Es gibt es so viele prächtige Bilder – die haben einfach danach geschrieen, dass da eine Geschichte rein gewoben wird.
Hast du direkt vor Ort in Mexiko für dein Buch recherchiert? Welche Orte hast du besucht?
Felix Pestemer: Insgesamt habe ich knapp zwei Jahre in Mexiko verbracht. In dieser Zeit habe ich den gesamten Süden und die koloniale Hochebene mit der angrenzenden Wüste bereist. Das war letztlich schon Recherche, als ich noch keinen Schimmer davon hatte, einmal ein Buch über Mexiko zu machen. Hauptschauplätze im 'Staub der Ahnen' sind Mexiko Stadt und der Staat Oaxaca, aber es gibt diverse Bildzitate aus anderen Regionen. Viele historische Hintergründe und eigene Anekdoten, Orte, Situationen, Bräuche und Artefakte, die ich irgendwann erlebt oder gesehen habe, sind jetzt in den zahlreichen Details der Illustrationen wieder zu finden. Das Buch hat einen großen dokumentarischen Anteil und deshalb auch ein ausführliches Glossar im Anhang.
Wie hast du den Band „handwerklich" umgesetzt?
Felix Pestemer: Das Ding ist höchst unökonomisch. Es ist tatsächlich alles Handarbeit: Bleistift, Aquarell, Kohle, Gouache auf großen Formaten. Außerdem habe ich anfangs mit den Zeichnungen losgelegt, bevor ich eine Ahnung hatte, wie die Seiten am Ende aussehen sollen. Und schlimmer, quasi alles fertig durchgezeichnet, obwohl ich erst eine vage Vorstellung von der Erzählung hatte. Erst sehr viel später habe ich ein Storyboard gestrickt, in das ich die vielen Versatzstücke patchworkmäßig einbaute und hin- und herschob, bis mir die Geschichte kohärent erschien.
Als ich 2011 den überreifen Text als eine Art Briefroman runter geschrieben habe, ist mir erst aufgefallen, welche logischen und logistischen Probleme mir meine vertrackten Gehirnwindungen beschert hatten. Und dann musste ich den Text auch noch in den Bildern unterbringen, die vor lauter Details schon aus allen Nähten platzten.
Auffällig ist, dass die Story vor allem visuell erzählt wird, fast wie ein Bilderband…
Felix Pestemer: Das Buch war ja ursprünglich auch gar nicht als Comic angelegt. Das hat sich erst im Laufe des 6-jährigen Entstehungsprozesses so entwickelt. Die erste Idee war es in der Tat, einen Bildband mit narrativen Zeichnungen zu schaffen, die nach Vorbild der mexikanischen Muralisten ganz ohne Text „gelesen“ werden konnten. 2009 habe ich den dann mithilfe einiger Institutionen und Privatleute in eine limitierte Auflage unter dem Titel 'Polvo - Tag der Toten' im Selbstverlag herausgebracht. Es gab darin schon die Parallelwelten der Lebenden und der Toten - die eine pseudo-dokumentarisch, die andere eine Hommage an die Volkskunst und den Totenkult, insgesamt 26 Bildtafeln mit losen Untertiteln. Die eigentliche Erzählung fand aber in den Bildern statt. Und als ich das Buch mit den sechs Todesgeschichten zur Graphic Novel ausbaute, bin ich diesem Konzept treu geblieben: 90% Story steckt in den Zeichnungen, die mit den 10% rotem Faden miteinander verstrickt werden, die der Brief des Museumswärters ausmacht.
Woran arbeitest du neben deiner Comic-Tätigkeit?
Felix Pestemer: Ich versuche meine Kunst zu verkaufen und Illustrationsaufträge an Land zu ziehen. Außerdem gebe ich regelmäßig Workshops und Seminare im Bereich Malerei und Zeichnung. Und wenn ich Zeit habe, schreibe oder zeichne ich. Manchmal kommen Geschichten dabei raus, die ich später illustriere - oder ich zeichne zuerst und schreibe dann etwas, das die Bilder illustriert. Wie beim 'Staub der Ahnen'.
Vielen Dank für die Hintergrundinfos zu deinem Graphic Novel – Band!
Homepage: www.puttbill.com
Umfangreiche Leseprobe [2]
Am Besten kauft man sich das Band beim Comichändler seines Vertrauens
...jedoch...
Der Staub der Ahnen kann man auch hier kaufen [3]
oder direkt beim avant-verlag [4]
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