Comic Radio Show

Die Kolonie von Charles Burns

Rezensionen / Kunst
geschrieben von M.Behringer am 12.06.2012, 00:00 Uhr

Postmodernes Mystery-Labyrinth



Die Kolonie von Charles Burns [1]Tintin in der Interzone! Bereits in dem Vorgänger-Band 'X' trifft der Ligne Claire-Meister Herge auf den Beat-Autor William S. Burroughs. Auf beide Vorbilder weist Burns auch wieder in 'Die Kolonie' explizit hin. Die Serie ist eine Mischung aus Coming-Of-Age und Mystery. Einen derartigen Genre-Mix gibt es sehr selten, der Kultfilm 'Donnie Darko' wäre ein passendes Beispiel. Überhaupt muss man die Einflüsse Burns auch außerhalb des Comics suchen. Die Atmosphäre erinnert beispielsweise stark die Filme von David Lynch. Doch selbst mit diesen Einordnungsversuchen erfasst man das Phänomen Burns noch nicht gänzlich.

Nach reichlichem Bier- und Whiskey-Genuss beichtet Doug einem Mädchen seine verstörenden Erlebnisse. Da ist vor allem seine Ex-Freundin Sarah, die genau wie er das Fotografieren liebt. Ihre Beziehung fing eigentlich sehr gut an. Sie waren verliebt und glücklich, obwohl sich beide auf ihre Art und Weise stark von den durchschnittlichen Jugendlichen unterschieden haben. So bevorzugte das Paar zum Beispiel vor allem morbide und surreale Fotografien. Aber dann will Sarah das wahre Ich von Doug erkunden, das sich hinter der Maske von 'Nitnit' (seinem Künstler-Pseudonym) verbirgt.

Die Kolonie von Charles Burns

Wie 'X' enthält auch 'Die Kolonie' mehrere Handlungsebenen. Die zum Teil verstörenden Welten ordnet Burns in Parallelmontagen an. Die Sequenzen sind von einer stark ausgeprägten Postmodernität und Selbstreflexion geprägt. Das Postmoderne zeigt sich in unzähligen Verweisen auf die Populärkultur. Die Selbstreflexion ergibt sich dadurch, dass Burns immer wieder das Comiclesen thematisiert. Diesen Comic im Comic-Kunstgriff kennt man von Alan Moores 'Watchmen' und in 'Die Kolonie' führt er zu einer zusätzlichen Überschneidung von Realitätsebenen, die allesamt miteinander verwoben sind.

Burns Strich orientiert sich stark an der präzisen Ligne Claire. Dadurch behält der Leser den Überblick über die morbiden, surrealen und verstörenden Bilder, die Burns zu seinem verschachtelten und rätselhaften Szenario gezeichnet hat. Echsenmenschen, Larvenhäppchen und verunstaltete Hybridwesen sind die Bestandteile in der Parallelwelt, die stark an Burroughs' Interzone-Welt aus dessen Kult-Roman 'Naked Lunch' erinnern. Fotografien, Comic-im-Comicsequenzen und eingefügte Bildfragmente machen 'Die Kolonie' zu einem mosaikartigen Bilderrätsel, bei dem auch Burroughs' Cut-Up-Methode Pate stand.

Die Kolonie von Charles Burns

In 'Die Kolonie' gibt Burns einige Hinweise, wohin der mysteriöse Coming-Of-Age-Trip gehen wird. Gleichzeitig ist der Band so komplex gestaltet, dass immer noch viele Fragen offen bleiben. Doch schon jetzt kann man davon ausgehen, dass Burns ein Genre-Meisterwerk gelungen ist. Ein kleines Manko ist, dass die Alben leider nicht paginiert wurden. Ansonsten besticht die Aufmachung durch eine Halbleinen-Bindung. Die Reihe wird in 'Der Zuckerschädel' fortgesetzt.


Die Kolonie
Von Charles Burns
Hardcover, 56 Seiten
Reprodukt 2012


Am Besten kauft man sich das Band beim Comic-Händler seines Vertrauens.
...jedoch...
Die Kolonie kann man auch hier kaufen. [2]

LESEPROBE zu Die Kolonie beim Reprodukt-Verlag [3]


(c) der Abb., mit freundlicher Genehmigung: Reprodukt + Autoren

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