Comic Radio Show

X von Charles Burns

Rezensionen / Kunst
geschrieben von M.Behringer am 14.05.2012, 00:00 Uhr

Surreale und postmoderne Groteske



X von Carls Burns [1]Was soll der Titel 'X' aussagen? Steht 'X' für das Unbekannte? Oder für eine Variable im mathematischen Koordinatensystem? Oder gar für die römische Zahl zehn? Das letztgenannte ergibt bei Charles Burns keinen Sinn. Wenn man seine bisherigen Arbeiten wie 'Black Hole' ansieht, dann trifft das Unbekannte am besten zu. 'X' ist nun der Auftaktband, der im Sequel 'Die Kolonie' fortgesetzt wird, der von Reprodukt für Juni 2012 angekündigt wurde. Doch der Reihe nach. Bei Burns‘ Graphic Novel handelt es sich zunächst einmal um eine nicht leicht zugängliche Groteske.

Der Jugendliche Doug hat psychische Störungen und nimmt dagegen Medikamente. Er interessiert sich für Fotografie und trägt maskiert Gedichte in typischer Beat-Manier vor. Seine Freundin versteht ihn nicht wirklich und so fühlt er sich von der rätselhaften und introvertierten Sarah aus dem Fotografie-Kurs angezogen. Doch das ist nur eine Realitätsebene. In einer Parallelwelt gerät Nitnit in ein bizarres Abenteuer voll grotesker Figuren wie Echsenmenschen, Zwerge, Zyklopen oder nasenlose Madenfresser.

Burns erzählt seine surreale und postmoderne Coming-Of-Age-Groteske mit Rückblenden und halluzinativen Passagen. Anhand der Voice Overs des Anti-Helden erschließt sich erst langsam ein Anflug von Zusammenhang der verschiedenen Erzählebenen. Die Realität ist brüchig und scheint fließend in die Welt des Unbewussten und des Traums überzugehen.

X von Carls Burns

Die zwei großen Vorbilder, auf die Burns in postmoderner Art verweist, sind Hergé und der Beat-Autor William S. Burroughs. An Hergé erinnert der entliehene und in sein eigenes Artwork integrierte ligne claire-Zeichenstil. Der Anti-Held Doug, der sich als Künstler Nitnit (rückwärts für 'Tintin') nennt, wirkt wie eine negative Variante von Hergés Figur Tim.

Den weit größeren Anteil in 'X' trägt jedoch Burroughs. Zum einen nutzt Nitnit Techniken des Beatniks, indem er Cut-Up-Gedichte zu neu arrangierten Soundcollagen vorträgt. Zum anderen erinnert die Ebene der Parallelwelt an typische Burroughs Romane. Doch Burns vermischt nicht nur die ästhetischen Stile seiner Vorbilder – er schafft vielmehr seinen eigenen Kosmos. Sein Universum erscheint grotesk, im Zerfall begriffen und trägt morbide Züge. Die Hässlichkeit wird darin als ästhetischer Ausdruck fast schon zelebriert.

X von Carls Burns

Der komplexen Story stehen klare Zeichnungen und flächige Farben gegenüber. Das ist ein großer Pluspunkt für 'X', weil man dadurch zumindest graphisch den Überblick behält. Die oft düsteren oder grellen Bilder unterstützten trotz ihrer klaren technischen Ausführung die bizarre Atmosphäre der Geschichte in passender Weise. In künstlerischer Hinsicht sind die Illustrationen nur wenig reizvoll und der Stil ist sicherlich auch Geschmackssache. Dennoch erfüllt Burns Artwork nicht nur seinen Zweck, sondern enthält auch viel Überraschendes und Neues.

'X' ist ein herausragendes Genre-Crossover aus Groteske und Coming-Of-Age. Die Spannung baut auf der Rätselhaftigkeit und der Vermischung von verschiedenen Wirklichkeiten auf. Es dauert sicherlich, bis der Leser 'durchblickt', aber genau das macht ja den Reiz aus. Burns gelingt es spielerisch und auf unvergleichbare Weise seine Vorbilder in sein eigenes Universums einzufügen. Die Graphic Novel ist sehr gut verarbeitet. Das Buch ist in roten Halbleinen gebunden und die gute Papierqualität bringt die Illustrationen richtig zur Geltung. Einen Abzug gibt es jedoch dafür, dass es keine Seitenzahlen gibt.


X
Von Charles Burns
Hardcover, 56 Seiten
Reprodukt 2012


Am Besten kauft man sich das Band beim Comichändler seines Vertrauens
...jedoch...
X von Charles Burns kann man auch gerne hier kaufen. [2]

X von Carls Burns


(c) der Abb.: mit freundlicher Genehmigung Reprodukt Verlag + Charls Burns

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