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Engelmann: Der gefallene Engel

Rezensionen / Independent
geschrieben von Micha am 03.05.2010, 00:00 Uhr

Ebenenschmelze


Engelmann: Der gefallene Engel [1] Nach einem Atomunfall auf einer katholischen Privatschule verwandelt sich der kleine Hansi Engelmeier in den Superhelden „Engelmann“ mit den Superkräften „Empfindsamkeit“, „Ambivalenz“ und „Gut-Zuhören-Können“. So weit zumindest die Herkunftsgeschichte, die dem frisch gebackenen Superhelden von den „Machos aus dem Story-Department“ von „Konzern Publishing“ kurzerhand aufoktroyiert wird, ohne dass er sich dagegen wehren kann. Mit der vom Story-Department erdachten bürgerlichen Tarnidentität als Redakteurin (!) bei einer Frauenzeitschrift kommt Engelmann auch eher schlecht zurecht, hat aber in seinem besten Freund Captain Analpho immerhin jemanden, mit dem er reden kann. Mit den Worten „Na ja, die Leute vom Story-Department werden schon wissen, was sie tun“ ergibt sich Engelmann in sein Schicksal.

Nicolas Mahlers Superheldenpersiflage verschmilzt mehrere Ebenen und Meta-Ebenen in eine einzige: Engelmann befindet sich auf derselben Realitätsebene wie sein Story-Department, vor das er regelmässig zitiert wird und das ihn beständig rügt, weil sich seine Heftserie so schlecht verkauft – was hauptsächlich an den schlechten Geschichten liegt, die das Story-Department sich in vielen Sitzungen ausdenkt. Als Reaktion auf die schlechten Verkaufszahlen wird Engelmanns Charakter dauernd umgeschrieben, was dieser nicht verkraftet und worauf er „eine ziemlich schwere Persönlichkeitsstörung“ entwickelt. Nachdem Engelmann schließlich auch noch um das Honorar aus seiner Verfilmung, in der er sich selbst spielt (so weit es sein psychischer Zustand zulässt), geprellt wird, offenbart er in Talkshows die Machenschaften von Konzern Publishing. Diese rächen sich dadurch, dass in einem letzten Heft Engelmann von seinem Erzfeind „Gender-Bender“ (halb Chirurg, halb Krake) besiegt und die Serie eingestellt wird. Trotzdem existiert Engelmann weiter und muss seinen Unterhalt mit Blutspenden bestreiten.

Engelmann: Der gefallene Engel

Auch die Leser der Engelmann-Hefte treten ständig auf, gleichzeitig erlebt Engelmann seine Abenteuer, und in einer parallel laufenden Dokumentation über sein Leben kommen Weggefährten zu Wort. Gegen Ende bringt Captain Analpho gar noch genau das Buch, das der Leser in Händen hält, zu Engelmann und verschmilzt so auch noch die oberste Meta-Ebene mit allem anderen.

Engelmann: Der gefallene Engel

Mit Mahlers typischem lakonischen Zeichenstil verhält sich „Engelmann“ zum Superheldencomic wie Anfang der 80er Jahre Trios „Da da da“ zum deutschen Schlager: Mit minimalistischer Gestaltung wird das Genre bis aufs Skelett reduziert und dadurch ad absurdum geführt. Trotzdem ist „Engelmann“ vom Unterhaltungswert ein eher mäßiges Werk Mahlers. Manche Gags zünden durchaus, etwa wenn Engelmann und Captain Anarcho sich nach Feierabend mit den Tücken des öffentlichen Nahverkehrs herumschlagen müssen oder wenn die Superhelden-Liga auf dem monatlich fälligen Mitgliedbeitrag besteht. Viele funktionieren aber nicht, in einigen wenigen Fällen wirkt es gar, als ob jemand Mahlers Humor imitieren würde, ohne ihn verstanden zu haben. Oder er hat sich weiterentwickelt und ich verstehe ihn nicht mehr. Die vierfarbige Kolorierung steht Mahlers stilistischem Reduktionskonzept auch eher im Weg als dass sie etwas zur Wirkung beitragen würde. Dennoch ist der Band für Mahler-Fans lohnend, auch wenn eine Schwarzweiß-Veröffentlichung im Softcover dem Inhalt angemessener gewesen wäre.


Engelmann: Der gefallene Engel
mit zahlreichen fussnoten [sic!] des autors [sic!!]
von Nicolas Mahler,
Hardcover, 96 Seiten
CarlsenVerlag, 14,90 Euro (15,40 Euro für Österreicher)


Engelmann: Der gefallene Engel kannst Du gerne auch hier kaufen [2]


Engelmann: Der gefallene Engel

(c) der Abb.: Carlsen und Nicolas Mahler


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