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Unter dem Hakenkreuz

Rezensionen / Politik & Geschichte
geschrieben von Peixe am 12.09.2009, 00:00 Uhr

Der letzte Frühling

Unter dem Hakenkreuz [1] Dieser Band ist groß, nein, riesig. Selbst ein großformatiges Heft überragt er noch um 2 bzw. 2,5 cm. Damit hat man bei Beuriot & Richelles Auftakt der Reihe „Unter dem Hakenkreuz. Band 1: Der letzte Frühling“ einen wirklich eindrucksvollen Band aus dem Verlag Schreiber & Leser in Händen.

Während der deutsche Titel der Reihe als Ort und Zeit Deutschland unter der sich zusammenbrauenden Naziherrschaft in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts identifiziert, so führt der französische Originaltitel „Amours fragiles“ (in etwa: zerbrechliche Lieben) in die Haupthandlung der auf 10 Bänden angelegten Erzählung ein. Beginnend 1932 geht es um Martin Mahner, mitten im Abitur, ein schüchterner junger Mann, der seinen Schwarm Katharina mehr anhimmelt als anspricht und an seiner Schüchternheit schier verzweifelt. Sein Kumpel landet daher bei ihr. Martins Chance kommt erneut, als sein Kumpel sich im Zuge der Repressalien der SA gegen jüdische Mitbürger von ihr trennt, denn ihr Vater ist ein bis dato angesehener jüdischer Arzt. Zivilcourage und Zuneigung greifen nun Hand in Hand, bis ein grausamer Zwischenfall die beiden trennt, während sich das politische Klima zunehmend verdüstert... Gemalt ist die Erzählung in stimmigen gedeckten Farben.

Unter dem Hakenkreuz

Die Charakterisierung der Figuren und Nebenfiguren bietet eine gelungene Auswahl der Stimmungen des Jahres 1932. Der von den Nazis überzeugte Vater etwa, der gute Juden und das Internationale Judentum unterscheidet, jedoch an den Drohgebärden der SA-Männer scheitert, dieser Überzeugung während der Juden-Boykotttage durch einen Einkauf zu folgen. So kommen unterschiedliche Motive, Naziparolen zu verbreiten ins Spiel: Angst, gesellschaftlich glänzen können, der Fokus auf einzelne Erfolge und hoffnungserweckende Reden der nationalsozialistischen Partei und die unheimliche Selbstverständlichkeit, unreflektiert mit dem Mainstream mitzuschwimmen. Nur der Protagonist mit dem sprechenden Namen Martin Mahner ist völlig immun gegen Hitlers Einflüsterungen. Die heuchlerische und täuschende Ideologie der Nazis wird elegant durch Fakten, die die wohlfeilen Ankündigungen konterkarieren, widerlegt. Ansonsten lassen die Autoren den Personen in ihrer Glorifizierung der Nationalsozialisten freien Lauf. Die zeitlichen Entwicklungen in Nazi-Deutschland kommen lebendiger herüber, werden plastischer, weil auch Nebendarsteller ihre eigene Biografie bekommen und Historie ein Gesicht geben.

Unter dem Hakenkreuz

Einen kritischen Gedankenanstoß möchte ich zu diesem wunderbar zu lesenden Comic dennoch geben: Die Einschränkung der Grundrechte wird in einem abstrakten und unansehnlichen Satz abgehandelt, die Grausamkeit der SA-Schergen gegenüber einem kleinen Hund über Seiten eindrucksvoll inszeniert. (Genauso verhält es sich in dem ansonsten erstklassigen Comic „Muchacho“ von Lepage!) Mich ärgert eine solche Darstellung, weil die Hundetötung letztendlich die Verbrechen der Nazis banalisiert. Sind Leser so abgestumpft, dass man die ‚Bösen’ nur daran erkennen kann, dass sie besonders grausam und blutig daherkommen? Lässt sich ein solch gravierender Freiheitsverlust wie die Einschnitte in Grundrechte nicht ebenso eindrucksvoll, packend und ansehnlich in Szene setzen? Mir scheint, da liegt noch eine große Herausforderung an das Können von Künstlern der sequentiellen Kunst (und bei Filmemachern ebenso).

Unter dem Hakenkreuz

Erzählt wird aus einer mehrstufigen Rückschau. Nur manchmal wirken die Zeitdiagnosen zu altklug in heutiger Rückschau, zudem man als Leser des ersten Bandes noch nicht genau einordnen kann, aus welchem Jahr der Erzähler zurückblickt. Exzellent verweben sich Liebesgeschichte und die (Miss-)Stimmung im Land, ziehen sich langsam zu einer Schlinge zu, Mitläufer entziehen sich ihr zunächst, während Menschen mit freiheitlichen Überzeugungen den Strick am Hals spüren. Einige (noch) offene Erzählstränge werden wohl erst in den kommenden Bänden weitergestrickt und miteinander verknotet.

In Frankreich liegen bislang drei vor, der vierte erscheint demnächst. In Deutschland will Schreiber & Leser den zweiten Band im Oktober publizieren.


Unter dem Hakenkreuz. Der letzte Frühling
Zeichnungen: Jean-Michel Beuriot
Text: Philippe Richelle
Coverillustration: Denis Bodart
Covercolorierung: Scarlett Smulkowski
86 Seiten, Hardcover, Farbe
Schreiber & Leser, München, 22,80 Euro
2009


Unter dem Hakenkreuz - Band 1: kannst Du gerne hier [2] kaufen.

Unter dem Hakenkreuz

(c) der Abb.: Autoren und Schreiber & Leser

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