Comic Radio Show

Ted Rall: Schmutzige Geheimnisse

Rezensionen / Biographisch
geschrieben von Peixe am 31.01.2009, 00:00 Uhr

Die schwarzen Seelen der netten Nachbarn! -Interviews mit Zeitgenossen


Ted Rall: Schmutzige Geheimnisse [1] „Dieses Buch ist allen schlimmen Zeitgenossen gewidmet!“ (Widmung im Comic) Wenn Du den uneingeschränkten Glauben an Deine Mitmenschen behalten willst, lies nicht weiter. Wenn Du in die schwarze Seele Deiner gutbürgerlichen Nachbarn schauen willst, wag es - auf eigene Gefahr!

Ted Rall ist eigentlich kein Comic-Zeichner, sondern Karikaturist. Besonders sozialkritische und politische Karikaturen sind sein Job in den USA. Damit bildet er ein Gegengewicht zu dem Neokons unter den US-amerikanischen Karikaturisten.

Die „Schmutzigen Geheimnisse“, die Rall als Comic erzählt, entstammen seiner Vorliebe, Leute auf Partys nicht nach Beruf und Hobbys zu fragen, sondern: „Was ist das Schlimmste, was du je getan hast?“ Den Anfang dieser Recherche machten Partygespräche. Später lud Rall landesweit ein, ihm wahre Geschichten zu erzählen. Aus den über 630 Berichten stammte ein Drittel von Gaunern und Betrügern, ein hoher Anteil ging ums Fremdgehen. In dem bei Schreiber & Leser erschienen Band vereinigt er eine repräsentative Auswahl.
Moralischer Bewertungen enthält er sich ganz, der Erzähltext ist nur leicht stilistisch überarbeitet, um den O-Ton authentisch zu erhalten, mal auf einer Seite, mal über mehrere Seiten berichtet:

- harmlose Herzlosigkeiten, etwa den Kinderstreich, das Trampolinspringen auf dem Bauch des kleinen Bruders auszuprobieren,
- und Kapitalverbrechen wie einen Mord, um sich von einem Schuldeneintreiber zu entledigen.

Ted Rall: Schmutzige Geheimnisse

Aufwühlend sind die Geheimnisse, die zwischen diesen Polen liegen:

- Das stümperhafte und grausame Abschlachten der nachbarlichen Katze, die immer die Sitze des 1867er Mustang verdreckt.
- Der Kampf zwischen Jugendlichen aus gutbürgerlichen Vierteln um die Gelegenheit, sich mit Gartenarbeiten beim Nachbarn das Taschengeld aufzubessern, gewinnt eine solche Heftigkeit, dass einer von ihnen psychisch verkrüppelt zurückbleibt.
- Studenten, die sich nebenbei ihr Studium mit Drogendealen finanzieren, und erleben, dass sie ihre Freunde zugrunde richten.
- Der erst verzweifelte und dann rabiate Umgang mit der „WG-Sau“, was Spülen und Aufräumen angeht.
- und vieles mehr...

Was die Geheimnisse so schauerlich macht ist, dass sie wahre Geschichten sind. Es sind keine Psychopathen, kaum Verbrecher, sondern so „normale“ Menschen wie Du und ich (Bitte fragt mich jetzt nicht nach meinem schmutzigsten Geheimnis!). Mein Nachbar, meine Kollegin hätten sie erzählen können. Und niemand weiß etwas davon. Manche Erzählungen werden dadurch so grausam, weil Rall ein Selbstbild der Erzähler einfängt, das keinerlei Einsicht, aber einen bösen Stolz auf ihre Untaten offenbart. Insofern bietet sich die kleine Sammlung bestens an, um eigene und fremde Moralvorstellungen abzuklopfen. Wie weit würde ich gehen, wenn ich unter Druck gerate? Wo ziehe ich mir eine Grenze selbst dann, wenn mich niemand erwischen kann?
Ted Rall: Schmutzige Geheimnisse
Beim Zeichenstil wird überdeutlich, dass man es mit einem Karikaturisten zu tun hat. Szenarien und Stil sind in allen Erzählungen ähnlich. Rall schenkt den Interviewten und Beichtenden keine individuelle Färbung, die die Charaktere, ihren Erzählstil und mehr profiliert hätte. Das ist ein kleines Manko, mehr nicht. Am meisten ärgerte mich, dass eine Geschichte sehr ausführlich erzählt wird, so dass weniger Platz für andere bleibt – ich hätte gerne mehr gehört. Ein zweiter Band ist trotz der leicht zu sammelnden Materialfülle wenig wahrscheinlich, weil der Band schon 1997 veröffentlicht wurde und ein neuentdecktes Kleinod darstellt.


Schmutzige Geheimnisse
Zeichnungen: Ted Rall
Text: Interviews
64 Seiten, Softcover, s/w
Schreiber & Leser, München, 12,95 Euro


Schmutzige Geheimnisse könnt ihr hier [2] für wenig Geld kaufen.

(c) der Abb.: Rall und Schreiber + Leser

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