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geschrieben von M.Hüster am
Donnerstag, 29. Juli 2010
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Das Comic-Magazin über europäische Comic-Kultur
Editorial
Liebe Leser,
was haben Mägen von Hausrindern, Bienen, Zuckerrüben, Milchmischgetränke mit mindestens 75% Anteil an Milch oder Molke und ein künstliches Kniegelenk mit Comics gemein?
Alle diese Produkte – und natürlich noch viele mehr – profitieren vom ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Generell gelten in Deutschland 19% Mehrwertsteuer. Ausgenommen davon sind aber Güter des lebensnotwendigen Bedarfs, die – so wollte es die Bundesregierung 1968 – mit einem ermäßigten Steuersatz von zur Zeit 7% belegt werden. Darunter fallen unter der Rubrik „Bücher, Zeitungen und andere Erzeugnisse des grafischen Gewerbes“ auch Comics.
Was als gut gemeinte sozialpolitische Idee gestartet war, ist zu einem Wildwuchs an Sonderregelungen ausgeartet, der sowohl Finanzämtern wie auch Experten Albträume beschert.
Ende Juni hat der Bundesrechnungshof nun gefordert, dass das Mehrwertsteuersystem reformiert werden sollte, auch um soziale Ungerechtigkeiten einzudämmen – es darf an die letzte absurde Regelung erinnert werden, die die Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen betraf.
Nun vermeldet die schwarz-gelbe Koalition, dass sie nach der Sommerpause – also irgendwann im Herbst – sich mit der Reform des Mehrwertsteuersatzes auseinandersetzen will, um die Struktur des Systems zu vereinfachen und logischer und gerechter zu gestalten.
Erst einmal: sehr schön, wurde auch Zeit! Aber im schlimmsten Fall könnte das dazu führen, dass Comics in Zukunft nicht mehr mit 7% sondern mit 19% besteuert würden, was den Ladenpreis eines durchschnittlichen Albums für heute € 12,95 auf € 14,40 erhöhen würde. Und nehmen wir auch einmal an, dass einige Verlage dies dazu nutzen würden, versteckte Preiserhöhungen vorzunehmen, dann würden wir für ehedem € 12,95 plötzlich € 14,95 aus der Geldbörse ziehen müssen.
Kein schöner Gedanke, denn Comic lesen sollte doch eigentlich Spaß machen.
In diesem Sinne
Ihr
Georg F.W. Tempel
(Chefredaktion)
Die Comics des Monats:
• Es war einmal in Frankreich (S. 5 – 17, 13 Seiten)
• Rubine: Klassenfoto (S. 23 – 34, 12 Seiten)
• Die Verdammten der Straße: Die 1 Euro-Falle (S. 39, eine Seite)
• Wyoming Doll (S. 41 – 50, 10 Seiten)
• Solo: Die Überlebenden des Chaos (S. 56 – 68, 13 Seiten)
• Inversion (S. 73 – 81, 9 Seiten)
• Epictetus (S. 82/83, Strip)
Redaktionelle Beiträge:
• Interview mit Eric Powell / Goon (S. 36 - 38, 3 Seiten)
• Inteview mit Flix über Faust (S. 69 - 71, 2,5 Seiten)
• Yves Chaland – Neuerer und Genie (S. 54 – 56, 2,5 Seiten)
• Zuletzt gefragt: Philippe Aymond (S. 82, ca. halbe Seite)
Faust: Goethes Literatur-Klassiker als Comic
Felix Görmann (Jahrgang 1976), Künstlername Flix, lebt zurzeit in Berlin. Im Jahr 2002 hat er als Diplomarbeit an der Hochschule der bildenden Künste Saarbrücken einen Comic eingereicht. Der wurde kurz danach unter dem Titel "held" bei Carlsen Comics veröffentlicht und gewann mehrere Auszeichnungen. Seitdem arbeitet er als Comiczeichner.
In den letzten 5 Jahren sind drei Grafik-Novellen („held“, „sag was“ und „mädchen“), drei Cartoonbände („VerFLIXt!“, „Du bist süss!“ und "Verliebt!"), zwei Comictagebücher ("heldentage" und "Der Swimmingpool des kleinen Mannes") ein Erinnerungscomic ("Da war mal was...") und ein Weihnachtsbüchlein ("Tut mir leid, aber Weihnachten fällt aus") entstanden, die allesamt bei CARLSEN COMICS veröffentlicht worden sind. „held“ und "sag was" wurden bisher in insgesamt vier verschiedene Sprachen übersetzt.
Flix hatte nach dem Studium an seiner Hochschule in Saarbrücken eine Dozentenstelle für Zeichnerei inne und leitet immer wieder Comicworkshops im In- und Ausland.
Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat er Goethes Klassiker „Faust“ über ein knappes halbes Jahr in 80 Folgen neu erzählt. Bei Carlsen erschien das Ganze als HC-Ausgabe in Reclam Optik unter dem Titel „Faust – Der Tragödie erster Teil“.
ZACK: “Who the fuck is FAUST?“ war 1998 dein erster professionell beim Eichborn Verlag veröffentlichter Comic. Eine Parodie auf den klassischen Goethestoff. Wie kam es zum Comic-Comeback von Faust bei der FAZ?
Flix: Eines Tages bekam ich eine email von Andreas Platthaus, einem der Redakteure der F.A.Z. Er schrieb mir, dass die Comicreihe STRIZZ nun nach sieben Jahren auslaufen würde und sie jemanden suchen würden, der, zumindest für eine gewisse Zeit, den Platz füllen könnte. Womit, da sei man völlig offen. Ziemlich schnell wurde mir klar, dass ich keinen klassischen Strip zeichnen wollen würde, sondern eine Fortsetzungsgeschichte. Allerdings müsste es eine sein, bei der der Leser, der nicht von Anfang an mitgelesen hat, sich zusammenreimen kann, worum es geht. Die Figuren müsste er irgendwie kennen. Eine Klassikeradaption? Warum nicht. Und da fiel mir mein Erstling „Who the fuck is FAUST?“ (kurz: WtfiF) wieder ein. Denn in den letzten Jahren wurde ich immer wieder gefragt, ob man den nicht noch mal auflegen könnte. Was ich immer verneint habe, denn ich finde den Band inzwischen zeichnerisch und erzählerisch „geht so“. Den Grundplot mag ich jedoch immer noch und ich dachte bei mir, ach, vielleicht zeichne ich ihn eines Tages einfach mal neu. Wenn ich Zeit habe. Und dank der F.A.Z.-Anfrage hatte ich auf einmal Zeit dafür.
ZACK: Was unterscheidet den neuen Faust von deinem Erstling (inhaltlich/grafisch)? Konntest du Elemente aus „Who the fuck is FAUST?“ wieder verwenden?
Flix: „WtfiF?“ habe ich damals in einem Anflug von Selbstüberschätzung gezeichnet, ohne konkreten Plan, ohne genauen Plot, ohne je vorher einen Comic gezeichnet zu haben, der länger als drei Seiten war. Die Geschichte war holperig zwar, aber sie hat funktioniert. Deswegen konnte ich für den FAZ-Faust den Grundplot übernehmen. Auch zwei der Hauptfiguren sind sich ziemlich treu geblieben.
Gott und Mephisto waren schon damals ein recht dynamisches Paar. Doch dann haben sich Charaktere und Plot beim Neuschreiben weiterentwickelt. Faust wurde Taxifahrer, Gott bekam ein Alkoholproblem und Mephisto hatte auf einmal Schwierigkeiten, seine Schäfchen ins Trockene zu bekommen. Es sind viele neue Szenen entstanden, und Figuren sind neu hinzugekommen oder haben sich charakterlich stark verändert.
Wagner war zum Beispiel in „WtfiF?“ ein blasser Öko, der auf einmal ab Seite 25 der Geschichte einfach nicht mehr auftauchte. Jetzt ist Wagner ein cholerischer Rollstuhlfahrer mit Migrationshintergrund und dazu Fausts WG-Partner. Er spielt eine wichtige Nebenrolle. Vom Erzählerischen her ist jetzt alles schlüssiger. Jede der Figuren macht eine kleine Entwicklung durch. Und dennoch konnte ich einige lieb gewonnene Details von damals wieder einbauen, wenn auch an anderen Stellen.
Grafisch unterscheidet sich die neue Version deutlich von „WtfiF?“, schon alleine deswegen, weil die neue Version als Fortsetzungsgeschichte für eine Tageszeitung konzipiert ist. Fortsetzungsgeschichten zu schreiben bedeutet, darauf zu achten, dass in jeder Folge was passiert. Sonst wird’s schnell langweilig. Weil der Zeitungsleser ja nicht, wie der Buchleser, vorblättern kann. Deswegen habe ich versucht, die Szenen so zu gestalten, dass sie nicht länger als eine oder zwei Folgen sind. Und im Idealfall mit einem Cliffhänger enden…
ZACK: ‚Fortsetzungsgeschichte in Folgen’ ist ein gutes Stichwort. War der neue Faust ein ‚Work in progress’ und hat sich von Folge zu Folge weiterentwickelt oder hattest du das gesamte Konzept bzw. den gesamten Comic bei Abdruckbeginn in der FAZ schon fertig gestellt?
Flix: „Faust“ war beides. Einerseits hatte ich mir, bevor ich mit dem Zeichnen der ersten Folge angefangen habe, einen „Verlauf“ geschrieben. Sprich ich habe grob festgelegt, wohin das Ganze führen soll, welche Figuren wann auftreten, welche Aktion zu welcher Reaktion führt. Dann habe ich angefangen zu scribbeln und versucht, den Verlauf in Folgen einzuteilen und dabei wieder die Handlung verändert. Danach habe ich, circa einen Monat vor Abdruckbeginn, angefangen zu zeichnen, wobei ebenfalls sich immer wieder was verändert hat und Folgen umgeschrieben werden mussten. Als die Reihe schon begann, in der FAZ zu laufen, war noch nicht klar, was genau hintenheraus passiert. Was vom Arbeitsablauf her und stresstechnisch nicht das Klügste war. Aber ich habe bis zuletzt versucht, das Ganze so gut wie möglich zu machen. Und da sind manchmal Änderungen kurz vor Abdruck nötig… Und jetzt, wo die Reihe in der FAZ durch ist, ändere ich wieder etliche Kleinigkeiten, damit der „Faust“ auch in Buchform funktioniert.
Weiter in ZACK 134 …
Zuletzt gefragt: Philippe Aymond
Welchen Comic liest du gerade?
Ich bevorzuge realistische Abenteuer-Comics wie Blueberry, Corto Maltese oder Jeremiah.
Ècole Marcinelle oder Ligne Clair?
Außer Hergé interessiert mich nichts an “ligne clair“. Ich finde den Marcinelle-Stil interessanter, einfühlsamer und spontaner. Jijé ist einer meiner Lieblingszeichner. Aber meine wahre Vorliebe liegt in der „dark line“ der klassischen amerikanischen „realist comic’s artists“ wie etwa Harold Foster, Alex Raymond oder – der Beste der Besten – Milton Caniff. Heute kennt niemand mehr ihre Art zu zeichnen. Wir leben in einer Welt, die die Vergangenheit vergessen möchte. Die „altmodische“ Art zu Zeichnen wird von jungen Zeichnern entweder geächtet oder sie kennen sie nicht mehr. Caniffs Stil ist einfach unglaublich!
Wie bist du zum Comiczeichnen gekommen?
Als Kind habe ich mit Tim & Struppi lesen gelernt. Und als 8 oder 9 Jahre alt war, versuchte ich, einen Comic zu zeichnen, der von Reiseziel Mond inspiriert war. Und seitdem habe ich nicht mehr aufgehört zu zeichnen, denn ich wusste, dass das mein Leben ist.
Kannst du vom Comic-Zeichnen leben?
Ja, und das ist ein großes Glück. Ich würde keinem jungen Zeichner raten, damit sein Geld zu verdienen. Die Art, wie ich zeichne, ist ein Fulltime Job. Sehr viele realistische Details. Um eine wirklich gute Qualität zu erhalten, brauche ich drei Tage für eine Seite, und das geht nur, weil ich viele Leser habe. Viele meiner Kollegen müssen schneller arbeiten oder weitere Jobs annehmen, um davon leben zu können. Unter diesen Umständen ist es schwierig, einen guten Comic abzuliefern.
Was nervt dich beim Signieren am meisten?
Dass ich immer dieselben Leute treffe, die auf eine Zeichnung warten. Meine Comics lesen tausende von Menschen, und ich sehe immer dieselben 40 „Dedicace“-Sammler.
Was würdest du tun, wenn du kein Talent zum Comic-Zeichnen hättest?
Ich schätze, ich wäre Komponist für Filmsoundtracks geworden.
Welche Tugend sagt man dir nach?
Vielleicht Bescheidenheit. Aber frag die anderen, bestimmt wissen sie noch ein paar andere. Hahaha …
Mit welchem Szenaristen würdest du gerne zusammen an einem Comic arbeiten?
Am liebsten mit Jean Van Hamme … Hm? Was? Ich arbeite schon mit ihm? Stimmt ja! Sorry, aber einen anderen sehe ich nicht. Er ist der Beste.
Hier kannst du jemandem danken, dem du schon immer mal Dank sagen wolltest.
Pierre Christin und Jean-Claude Mézières. Meine erste Profi-Arbeit war mit ihnen zusammen, und das war eine tolle Erfahrung.
Mehr in ZACK 134 …
News: S. 20 + 21
• Wie entfesselt / Gilgamesh
• Unter Ausschluss der Fans
• Gringo Comics: Der Comic schlägt zurück
• Das ist Racing! Michel Vaillant Signierstunde
• Wanderer, kommst du nach Spa …
• Attraktiv = günstig?
• Andy Morgan: Comics zur See
• Zeitungscomics
• Tim & die Millionäre
Spotlights: S. 52 - 54
• Spirou + Fantasio Spezial – Operation Fledermaus
• Sun Village
• Dede – Sind Sie tot, Madame?
• The Warlord 1 – Skartaris
• Gift
• Noli Me Tangere
• Die Reise mit Bill
• Ria 1 – Same der Hoffnung
• Cap Horn 2 – Im Kielwasser der Kormorane
• MOSAIK 416 – Nichts als Streitereien
Novitäten (S. 18)
Termine (S. 40)
• Diverse Ausstellungen + Börsen + Messen + Veranstaltungstermine
Vorschau (S. 82)
… u. a. mit folgenden Comics …
• Es war einmal in Frankreich Teil 3
• Rubine
• Wyoming Doll
• Solo
• Inversion
… und diesen Artikeln …
• Interview mit Enrico Marini
• Der Schweizer Zeichner Derib
• Zuletzt gefragt: Eric Libèrge
ZACK 134 / August 2010 / 84 Seiten
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